Was versteht man unter Umweltethik?
Was bedeutet Umweltethik? Welche umweltethischen Ansätze, Modelle und Themen gibt es? Welche Kritik äußern philosophische Vertreter? Welche Bedeutung haben die vier Positionen für die Lösung der Umweltkrise?
INHALT
Definition
Die Umweltethik, eine Ende der 1970er Jahre entstandene philosophische Disziplin, erhielt 1985 im deutschsprachigen Raum durch das Lexikon der Umweltethik des deutschen Soziologen und Philosophen Gotthard M. Teutsch (1918–2009) ein methodisches und wissenschaftliches Fundament.[1][2]
In seinem Werk definiert Teutsch vier Grundpositionen, die die Umweltethik nachhaltig prägen. Im Mittelpunkt aktueller umweltethischer Fragestellungen stehen die Umweltkrise und die Tierwohlkrise.
Beide Krisen sind auf eine Kombination verschiedener Faktoren zurückzuführen, darunter die Aufklärung, die Gewährung von Freiheitsrechten, der technische Fortschritt und die Industrialisierung. Diese Faktoren führten ab dem 18. Jahrhundert zu einer beispiellosen Freisetzung wirtschaftlicher und technischer Macht.
Die Umweltethik, im Englischen auch als Environmental Ethics bekannt, beschäftigt sich mit der Frage, welche Lebewesen Träger von Rechten sind und ob der unbelebten Natur Rechte zukommen sollten.
Der Begriff „Umweltethik“ setzt sich aus den Wortbestandteilen „Umwelt“ und „Ethik“ zusammen, die für sich genommen folgende Bedeutung haben:
„Umwelt“ umfasst den natürlichen Lebensraum auf der Erde wie Boden, Luft, Wasser, Artenvielfalt und Biotope.
„Ethik“, ein Teilgebiet der Philosophie, ist die Wissenschaft vom guten und gerechten Handeln sowie vom richtigen oder falschen Handeln der Menschen (siehe hierzu die ausführliche Definition von » Ethik «).
Auf Grundlage dieser Definition untersucht Umweltethik als Teilgebiet der Ethik das richtige menschliche Verhalten gegenüber der belebten Natur und der unbelebten Natur.
Die belebte Natur umfasst Menschen, Tiere, Pflanzen, Pilze, Bakterien oder eukaryotische Einzeller.[3] Die unbelebte Natur umfasst Kristalle, Luft, Metalle, Mineralien, Sand, Steine und Wasser.
Innerhalb der Umweltethik werden vier Positionen unterschieden, die sich dadurch unterscheiden, ob neben den Menschen auch leidensfähigen Lebewesen, allen Lebewesen oder der unbelebten Natur eigene Rechte zugesprochen werden.
Grundpositionen
Als Einführung kann die Umweltethik in vier Grundpositionen unterteilt werden:
-
Anthropozentrische Umweltethik: Nur Menschen besitzen Rechte.[4]
-
Pathozentrische Umweltethik: Alle leidensfähigen Lebewesen besitzen Rechte.[5]
-
Biozentrische Umweltethik: Alle Lebewesen besitzen Rechte.[6]
-
Holistische (Ökozentrische) Umweltethik: Die belebte und die unbelebte Natur besitzen Rechte.[7]
Das Gliederungsschema ist hierarchisch aufgebaut. Das bedeutet, die nächsthöhere Stufe beinhaltet idealerweise auch die vorausgegangene(n) Stufe(n).
Die vier umweltethischen Grundpositionen können auch als Anthropozentrismus, Pathozentrismus, Biozentrismus und Ökozentrismus (Holismus) bezeichnet werden.
Schaubild der vier umweltethischen Ansätze
Das folgende Schaubild verdeutlicht den Zusammenhang der vier umweltethischen Ansätze:
Bild: Umweltethik – Was ist das genau? Spektrum und Bereiche
der Positionen der Anthropozentrik, Pathozentrik, Biozentrik, Ökozentrik *
Jenseits der anthropozentrischen Umweltethik wird die
Sonderstellung der Menschen zunehmend bezweifelt, da die Idee in Frage
gestellt wird, dass die Menschen die einzigen Rechteinhaber auf der Welt sind.
Als Gegenpol zur anthropozentrischen Umweltethik können die pathozentrische, biozentrische und holistische Umweltethik zusammenfassend als physiozentrische Umweltethik bezeichnet werden.
Diese drei physiozentrischen Ansätze werden jeweils mit alternativen
Begriffen bezeichnet, die ihre spezifischen Schwerpunkte widerspiegeln:
-
Die pathozentrische Umweltethik räumt allen leidensfähigen Lebewesen eigene Rechte ein und untersucht insbesondere die Auswirkungen auf leidensfähige Tiere. Daher wird sie auch als Tierethik bezeichnet.
-
Die biozentrische Umweltethik räumt allen Lebewesen eigene Rechte ein und untersucht insbesondere die Auswirkungen auf Pflanzen. Daher wird sie auch als Pflanzenethik bezeichnet.
-
Die holistische (ökozentrische) Umweltethik räumt der gesamten Natur eigene Rechte ein und untersucht insbesondere die Auswirkungen auf die belebte und unbelebte Natur. Daher wird sie auch als Naturethik bezeichnet.
Nach den drei physiozentrischen Umweltethiken haben nichtmenschliche
Lebewesen oder die Natur einen Eigenwert und sind daher schützenswert,
unabhängig von ihrem Nutzen für den Menschen.
Im Gegensatz dazu hält die anthropozentrische Umweltethik Pflanzen, Tiere und die Natur nur für schützenswert, wenn ihr Schutz den Interessen der Menschen dient.
Die drei physiozentrischen Umweltethiken betrachten menschliche Interessen, die für die Menschheit nicht überlebenswichtig sind und nichtmenschliche Lebewesen oder die Natur beeinträchtigen, zunehmend als nicht zu rechtfertigende Luxusinteressen.
Kritik und Probleme
Die folgenden Seiten beinhalten jeweils eine detaillierte Definition der anthropozentrischen, pathozentrischen, biozentrischen und holistischen Umweltethik inklusive einer Kritik und typischer Probleme bei ihrer praktischen Anwendung:
» Anthropozentrik «
» Pathozentrik «
» Biozentrik «
Dabei werden die Positionen prominenter Vertreter der Umweltethik vorgestellt, darunter die Philosophen Jeremy Bentham, Immanuel Kant, Albert Schweitzer, Tom Regan, Peter Singer und Noah Seattle.
Fallbeispiele verdeutlichen die Probleme bei der Abgrenzung der verschiedenen Umweltethik-Modelle.
Ziel ist es insbesondere, herauszufinden, welcher der vier umweltethischen Ansätze in der heutigen Zeit Gültigkeit besitzt und Anwendung findet.
Diskussion der drei physiozentrischen Positionen
Die drei physiozentrischen Positionen – Pathozentrismus, Biozentrismus und Holismus (Ökozentrismus) – berücksichtigen eine zunehmende Anzahl von Interessen.
Der Pathozentrismus geht davon aus, dass neben den Interessen der Menschen auch die Interessen aller leidensfähigen Lebewesen, einschließlich leidensfähiger Tiere, berücksichtigt werden müssen.
Der Biozentrismus erweitert diesen Ansatz um die Interessen aller Lebewesen, einschließlich Pilze und Kleinstlebewesen wie Algen, Bakterien oder Insekten.
Der Holismus (Ökozentrismus) geht noch einen Schritt weiter und berücksichtigt neben den Interessen der gesamten belebten Natur auch die Interessen der unbelebten Natur, wie beispielsweise von Landschaften, Korallenriffen, Ökosystemen und unbelebter Materie.
Die Problematik besteht darin, dass in Situationen, in denen die Interessen von Menschen, Tieren, Pflanzen oder der Natur gegeneinander abgewogen werden sollen, eine neutrale Perspektive fehlt.
Da es keine höchste, unparteiische Instanz auf der Erde gibt, müssen Menschen diese Abwägung vornehmen, da nur sie aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten rationale Entscheidungen treffen können.
Tiere, Pflanzen und die unbelebte Natur können ihre Interessen nicht selbst durchsetzen und sind auf Menschen angewiesen, die ihren Interessen vertreten und ihnen eine Stimme geben.
Daher ist es wahrscheinlich, dass Abwägungen in solchen Situationen immer zugunsten menschlicher Interessen ausfallen und somit anthropozentrisch geprägt sind.
Ein weiteres Problem aller physiozentrischen Positionen betrifft die Wahrnehmung von Pflichten:
Wenn Tieren, Pflanzen und der unbelebten Natur Rechte eingeräumt werden, dann haben sie, dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz folgend, auch die Pflicht, die Rechte anderer zu berücksichtigen.
Dies setzt jedoch voraus, dass sie nicht nur die Folgen ihres Handelns auf die Rechte anderer erkennen können, sondern auch ihr eigenes Handeln ethisch beurteilen können.
Pflanzen, Tiere und die unbelebte Natur verfügen jedoch offensichtlich nicht über diese Fähigkeiten.
Dies wirft die Frage auf, ob Tiere oder Pflanzen, die die Rechte anderer missachten, durch eigene Pflanzengerichte und Tiergerichte bestraft werden sollten und könnten.
Die folgenden Schlussfolgerungen ergeben sich aus den genannten Problemen:
» Zur Diskussion der umweltethischen Ansätze des Physiozentrismus «
Im Verlauf dieser Diskussion wird anhand von Beispielen aus der Praxis deutlich, dass es umweltethisch nicht immer eindeutig möglich ist, bestimmte Themen und Handlungen eindeutig dem Anthropozentrismus, Pathozentrismus, Biozentrismus oder Holismus (Ökozentrismus) zuzuordnen.
Beispiele und Themen
Beispiele und Themen einer angewandten Umweltethik finden sich in verschiedenen Bereichen wieder, wie beispielsweise in der Unternehmensethik und der Konsumentenethik.
Im Bereich der Unternehmensethik stehen Entscheidungsträger vor wichtigen Fragen, wie zum Beispiel:
-
Haben Unternehmen nur Menschen gegenüber eine Verpflichtung oder auch gegenüber Tieren, Pflanzen, Landschaften oder Ökosystemen?
-
Wie weit reicht die Verantwortung eines Unternehmens für die natürliche Umwelt? Sollten der Natur eigene Rechte zugestanden werden oder dürfen unter ethischen Gesichtspunkten pflanzliche und tierische Artenvielfalt kurzfristigen ökonomischen Vorteilen geopfert werden?
-
Sollten Unternehmen nur die geltenden gesetzlichen Vorschriften erfüllen oder sich darüber hinausgehend für den Umweltschutz, den Tierschutz oder eine nachhaltige Entwicklung engagieren? [8]
Im Bereich der Konsumentenethik stehen Konsumenten vor der Frage, wie sich ihr Konsumverhalten und ihre Kaufentscheidungen auf den Naturschutz und den Tierschutz auswirken.
Durch ihre Kaufentscheidungen beeinflussen Konsumenten die Entwicklung, die Produktion und den Transport von umwelt- und tierfreundlichen Produkten.
In einer Marktwirtschaft bestimmen Konsumenten an der Ladenkasse oder in Online-Bezahlsystemen mit darüber, welche Produkte von Unternehmen angeboten werden und sich am Markt behaupten können.
Produkte sind in Supermärkten, Ladengeschäften und Online-Shops nur deshalb erhältlich, weil sie gekauft werden. Produkte, die nicht mehr gekauft werden, werden zeitnah aus dem Sortiment genommen.
Wünschen die Konsumenten tier- und umweltfreundliche Produkte, werden diese hergestellt und angeboten.[9]
Darüber hinaus können Konsumenten zu mehr Naturschutz und Tierschutz beitragen, indem sie bewusst entscheiden, wie häufig, wie lange oder wie sie bestimmte Produkte konsumieren und entsorgen.
Bedeutung in der Umweltkrise und Tierwohlkrise
Die Bedeutung der Umweltethik ist aus der Industrialisierung und der Liberalisierung der Wirtschaft entstanden.
Diese Entwicklungen führten in den westlichen Ländern ab Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer beispiellosen Freisetzung von technischem Wissen und wirtschaftlicher Macht.
Einerseits nahm dadurch das Ausmaß der Naturzerstörung, das die Menschheit aufgrund ihrer technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten langfristig verursachen konnte, erheblich zu.
Andererseits etablierten sich dadurch Anfang des 19. Jahrhunderts zweifelhafte Tierversuche in industriellem Ausmaß, gefolgt von grausamer Massentierhaltung und leidvollen Tiertransporten Mitte des 20. Jahrhunderts.
Die daraus im 21. Jahrhundert resultierende Umweltkrise und Tierwohlkrise werfen die Frage auf, wie den Eingriffen der Menschheit in die Natur ethische Grenzen gesetzt werden können.
Warum ist Umweltethik wichtig? Wie im Kapitel Ökologie, Ökonomie und Ethik erläutert, bietet die Umweltethik eine Orientierungshilfe bei der Gewichtung menschlicher Bedürfnisse und ermöglicht es, wirtschaftliche Rahmenbedingungen unter ökologischen und tierrelevanten Gesichtspunkten festzulegen.
Umweltethische Ansätze fungieren an der Schnittstelle zwischen Ökologie und Ökonomie als Korrekturmechanismus gegen Marktversagen im Bereich des Naturschutzes, Umweltschutzes und Tierschutzes.
Letztendlich kann die Umweltethik die Ökonomie in eine natur- und tierfreundliche Richtung lenken und den negativen Wirkungen eines uneingeschränkten ökonomischen Prinzips entgegenwirken.
» Hinweise zum Zitieren dieser Internetseite in wissenschaftlichen Arbeiten
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Anmerkungen:
[1] Teutsch, Gotthard M. (1985), Lexikon der Umweltethik, Vandenhoeck und Ruprecht Verlag, Düsseldorf.
[2] Im englischsprachigen Raum leisteten zwei Magazine und Zeitschriften aus dem Bereich der Umweltphilosophie Pionierarbeit und legten damit ein methodisches und wissenschaftliches Fundament für die philosophische Disziplin der Umweltethik:
1979 gründete Eugene C. Hargrove (geb. 1944), zu dieser Zeit Professor für Philosophie an der University of North Texas, die Zeitschrift „Environmental Ethics“. Diese erscheint bis heute vierteljährlich.
1983 folgte „The Trumpeter – Journal of Ecosophy“, ein Magazin für Umweltphilosophie. Es wurde vom kanadischen Philosophen Alan R. Drengson (1934–2022) von der University of Victoria (Kanada) gegründet und erscheint bis heute jährlich.
[3] In der Natur bilden sich Ökosysteme, die aus einer Biozönose und einem Biotop bestehen. Eine Biozönose umfasst Lebensgemeinschaften aus Tieren, Pflanzen, Pilzen, Algen und Mikroorganismen.
Ein Biotop hingegen ist ein abgegrenzter Lebensraum, in dem diese Lebensgemeinschaften leben. Beispiele für Biotope sind Gebirge, Gewässer, Grasland, Moore, Steppen, Wälder und Wüsten.
[4] Teutsch, Gotthard M. (1985), Lexikon der Umweltethik, Vandenhoeck und Ruprecht Verlag, Düsseldorf, S.8 ff.
[5] Ebenda, S. 83 ff.
[6] Ebenda, S. 17 ff.
[7] Ebenda, S. 46 ff.
[8] In dieser umweltethischen Fragestellung unterstützt die Unternehmensinitiative Future Unternehmen bei der Umsetzung einer ökologisch ausgerichteten Unternehmensethik. Ein Beispiel dafür ist die Steilmann-Gruppe im Textilbereich in den 1990er Jahren. Über die Belange des Tierschutzes informieren Tierschutzverbände und Tierschutzorganisationen.
Als Einführung kann der Praxisleitfaden Umweltschutz Unternehmen dabei unterstützen, den Stand ihrer Umweltethik zu prüfen.
Eine umweltethische Selbstverpflichtung von Unternehmen kann sowohl Vorteile für das Umweltmanagement als auch Nachteile mit sich bringen, insbesondere in Bezug auf Vermarktungsprobleme umweltfreundlicher Produkte.
[9] Grundlagen für Konsumentscheidungen im Rahmen einer angewandten Umweltethik liefern beispielsweise Adressen für nachhaltiges Einkaufen und Verbraucherschutz.
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