Was versteht man unter Konsumentenethik (Konsumethik, Verbraucherethik)?
Welche Beispiele aktueller Themen der Konsumentenethik gibt es? Wie groß ist die Macht der Konsumenten (Verbraucher)? Welche Rolle spielt eine Konsumethik/Verbraucherethik bei der Bewältigung der Umweltkrise?
INHALT
Definition und Aufgaben
Die Konsumentenethik, auch bekannt als Konsumethik oder Verbraucherethik, ist ein Teilbereich der Wirtschaftsethik. Sie untersucht aus ethischer Perspektive die sozialen, ökologischen und globalen Auswirkungen von Konsum- und Kaufentscheidungen von Konsumenten.[1]
In einem Wirtschaftssystem werden unter „Konsumenten“ die Endverbraucher von Produkten und Dienstleistungen verstanden, zu denen private Haushalte, Unternehmen und der Staat zählen.
Der Begriff „Konsumentenethik“ (englisch: consumer ethics) setzt sich aus dem lateinischen Wort „consumere“ (verbrauchen) und dem deutschen Wort „Ethik“ zusammen. Letzteres leitet sich von den griechischen Wörtern „ethike“/„episteme“ (das Sittliche) und „ethos“ (Charakter, Sinnesart) ab.[2]
Die Ethik, seit Aristoteles eine eigenständige philosophische Disziplin, ist von der Idee eines sinnvollen menschlichen Lebens geleitet und sucht nach allgemeingültigen Aussagen über das gerechte und gute Handeln.[3]
Ausgehend von dieser Definition ist es Aufgabe der Konsumentenethik, allgemeingültige Aussagen über ein sinnvolles Konsumverhalten sowie das gerechte und gute Handeln von Konsumenten zu untersuchen.
Einerseits analysiert sie das reale Konsumverhalten, indem sie untersucht, welche Produkte und Dienstleistungen genutzt werden, wie häufig diese genutzt werden und ob bei bestimmten knappen Gütern freiwillig ein Konsumverzicht stattfindet.
Andererseits untersucht und formuliert sie ethische Prinzipien, die das Konsumverhalten leiten und bestimmen sollten, um einen ethischen Konsum zu ermöglichen.
Angesichts der aktuellen Krisen in den Bereichen Natur, Umwelt und Tierwohl kommt der Konsumentenethik im 21. Jahrhundert die Aufgabe zu, der Frage auf den Grund zu gehen, wie Konsumenten durch ihren Konsum von Produkten und Dienstleistungen zur Bewältigung dieser Krisen beitragen können.
Themen, die von Konsum- und Kaufentscheidungen berührt werden, sind beispielsweise die Interessen zukünftiger Generationen, Belange der sozialen Gerechtigkeit, ökologische Aspekte oder das Tierwohl.
Die Umweltethik behandelt diese Themen im Allgemeinen, ohne sich speziell auf Konsumenten zu beziehen.
Merkmale deskriptiver und normativer Ansätze
In der Konsumentenethik gibt es den deskriptiven und normativen Ansatz, die folgende Merkmale aufweisen:
Die deskriptive Konsumentenethik untersucht aus einer beschreibenden Perspektive, wie sich Konsumenten in einem Wirtschaftssystem ethisch verhalten.
Sie analysiert vergangenheits- und gegenwartsbezogen anhand systematischer Beobachtungen, welche Handlungen und Werte von Konsumenten als gut und richtig erachtet wurden und werden, ohne diese zu bewerten.
Hierzu können interdisziplinär Methoden beispielsweise aus der Statistik, der Psychologie, der Soziologie und der empirischen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zur Anwendung kommen.
Die normative Konsumentenethik hingegen stellt Konsumenten richtungsweisende Prinzipien für ihr Handeln und ihre Ziele innerhalb eines Wirtschaftssystems zur Verfügung.
Sie definiert gegenwarts- und zukunftsbezogen, welche Handlungen und Werte Konsumenten als gut und richtig erachten können – und letztlich sollen. Ihr Ziel ist es, ethischen Konsum zu fördern und zu verwirklichen.
Dabei kann sie auch auf die Erkenntnisse der deskriptiven Konsumentenethik zurückgreifen.
Zentrale Fragen
Eine praktisch angewandte Konsumentenethik befasst sich im Wesentlichen mit folgenden zentralen Fragen:
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Sollten sich Konsumenten aktiv an der Gestaltung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen unter ethischen Gesichtspunkten beteiligen?
-
Sollten Konsumenten freiwillig ethische Standards einhalten, auch wenn dies bedeutet, dass sie möglicherweise einen geringeren Gewinn oder Nutzen erzielen?
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Sollten sich Konsumenten ausschließlich auf die Maximierung ihres Nutzens innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen für die Wirtschaft konzentrieren?
Die letzte Frage legt den Schwerpunkt der Konsumentenethik auf die Wirtschaftsordnung
und nicht auf die Konsumenten selbst. Dieser Ansatz kann wie folgt definiert werden:
„Der systematische Ort der Moral in der Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung.“
(Dr. Karl Homann, emeritierter Professor des Lehrstuhls Philosophie, Politik und Wirtschaft an der LMU München) [4]
Demnach handeln Konsumenten nicht automatisch ethisch, nur weil
sie sich an die geltenden Regeln der Rahmenordnung der Wirtschaft
halten. Sie können diese Regeln auch hinterfragen.
Wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beispielsweise Naturzerstörung, Tierversuche oder soziale Ausbeutung bei der Produktion und in nachgelagerten Lieferketten zulassen, können sich Konsumenten dazu entschließen, diesen Spielraum bei ihren Konsumentscheidungen nicht auszuschöpfen.
Konsumentenethik beschäftigt sich letztlich mit der Überprüfung bestehender Regelungen und dem Hinterfragen von Regelungslücken in der geltenden wirtschaftlichen Rahmenordnung.
Im Wesentlichen bewegt sich die Konsumentenethik im Spannungsfeld zwischen Individualethik (welche Rolle spielen ethisch relevante Entscheidungen einzelner Konsumenten?) und Ordnungsethik (wie lassen sich ethische Regeln in eine Gesellschaft integrieren?).
Abgrenzung zur Wirtschaftsethik
Die Wirtschaftsethik untersucht beschreibend (deskriptiv) die in der Praxis verbindlich akzeptierten Werte in der Wirtschaft und normsetzend (normativ) die moralischen Normen, die in der Wirtschaft eingeführt werden sollten.
Einfach ausgedrückt, untersucht die Wirtschaftsethik, welche Werte in der Wirtschaft in Wirklichkeit wirklich gelten und welche Werte idealerweise gelten sollten.
Ihr Ziel ist es, einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ethik zu finden (vgl. hierzu die jeweiligen Definitionen auf der Unterseite über das Verhältnis von Ökologie, Ökonomie und Ethik).
Die Frage, ob der Begriff der Konsumentenethik ein Synonym für Wirtschaftsethik ist, kann verneint werden:
Neben der Konsumentenethik umfasst die Wirtschaftsethik (englisch: business ethics) auch die Unternehmensethik (englisch: corporate ethics) und das ethische Verhalten von öffentlichen Unternehmen, Verwaltungen und Staaten. Daher ist die Konsumentenethik ein Teilgebiet der Wirtschaftsethik.
Beispiele aktueller Themen
Obwohl bereits viele Länder weltweit in ihren Rahmenordnungen der Wirtschaft den Naturschutz, Umweltschutz und Tierschutz berücksichtigen, besteht dennoch erheblicher Handlungsbedarf.[5]
Konsumenten können durch ihre Kaufentscheidungen zur Schließung bestehender Regelungslücken beitragen.
Im Folgenden werden aktuelle Beispiele und Themen der Konsumentenethik aus den Bereichen Naturschutz, Umweltschutz, Tierschutz und fairem Handel vorgestellt, die die Handlungsmöglichkeiten verdeutlichen.
Naturschutz und Umweltschutz
Die folgenden vier aktuellen Beispiele zeigen, wie eine
angewandte Konsumentenethik den
Naturschutz und Umweltschutz verbessern kann:
-
Plastikmüll in den Weltmeeren
Handlungsoption für ethischen Konsum: Vermeidung von Plastik beim Einkauf, sowohl bei den Produkten selbst als auch bei deren Verpackungen.
-
Chemikalien im Grundwasser
Handlungsoptionen für ethischen Konsum: Einkauf nachhaltig und biologisch hergestellter Produkte, Bekämpfung unerwünschter Pflanzen und Schädlinge im Garten mit natürlichen und biologischen Methoden, Verwendung ökologisch ausgerichteter Putzmittel, Waschmittel und Kosmetika im Haushalt.
-
Abholzung tropischer Regenwälder
Handlungsoption für Konsumenten: Vermeidung von Produkten aus den tropischen Regenwäldern.
-
Artensterben von Pflanzen und Tieren
Handlungsoptionen für Konsumenten mit eigenem Garten: Anlegen eines Naturgartens mit einheimischen Pflanzen zum Schutz einheimischer Tierarten wie Insekten (Bienen, Schmetterlinge), Igeln und Vögeln sowie Verwendung natürlicher und biologischer Mittel zur Pflanzenpflege.
Tierschutz
Die folgenden zwei aktuellen Beispiele zeigen, wie eine
angewandte Konsumentenethik den Tierschutz verbessern kann:
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Tierexperimente und Tierversuche
Handlungsoption für Konsumenten: Bevorzugung von Produkten, die nicht an Tieren getestet wurden.
-
Massentierhaltung und Tiertransporte
Handlungsoption für ethischen Konsum: Bevorzugung regionaler Bio-Produkte aus Freilandhaltung.
Fairer Handel
Im globalisierten Handel kann eine angewandte Konsumentenethik zu einem fairen Handel zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern beitragen.
Der „Faire Handel“ (englisch: Fair Trade, Fairtrade) verfolgt das Ziel, Tauschgerechtigkeit beim Import von Produkten aus Afrika, Asien oder Südamerika zu gewährleisten.
Diese Tauschgerechtigkeit kann beispielsweise durch die
Einhaltung folgender Sozialstandards und Umweltstandards in den
produzierenden Ländern des Globalen Südens realisiert werden:
-
Güterproduzenten erhalten in der gesamten Lieferkette einen sicheren, gerechten Mindestpreis.
-
Mitarbeiter in Produktionsunternehmen erhalten gerechte Löhne.
-
Sicherstellung sozialer Standards für die Mitarbeiter, wie Schutz bei Krankheit und Kündigung.
-
Sichere körperliche Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter, wie Schutz vor Vergiftung und Verletzung.
-
Ausschluss von Kinderarbeit und Jugendarbeit.
-
Umweltfreundliche Produktionsmethoden zum Schutz der Böden, des Grundwassers und der Luft.
Eine Möglichkeit für Konsumenten, diese Ziele zu unterstützen, besteht darin, Produkte mit einer
Fair-Trade-Kennzeichnung zu bevorzugen, um soziale Gerechtigkeit, Naturschutz und
Umweltschutz in den Entwicklungsländern zu fördern.
Fairtrade International ist das weltweit größte Sozialsiegel für fairen Handel. Es setzt sich für gerechtere Bedingungen für die Menschen im Globalen Süden ein, die Lebensmittel für Industrieländer anbauen oder Rohstoffe abbauen.
Zu den Fairtrade-Lebensmitteln gehören Früchte, Gewürze, Honig, Kaffee, Kakao, Quinoa, Reis, Säfte, Schokolade, Sirup, Tee, Trockenfrüchte, Wein oder Zucker.
Ferner zählen dazu Rohstoffe und Produkte wie Baumwolle, Blumen, Gold und Silber.
Konsum versus Konsumverzicht
Grundsätzlich können Konsumenten ihr ethisches Verhalten auf zwei Arten zum Ausdruck bringen: durch Konsum oder Konsumverzicht.
Sie können bewusst bestimmte Produkte oder Dienstleistungen wählen oder bewusst auf sie verzichten. Auch die Häufigkeit ihrer Käufe und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen spielen dabei eine Rolle.
Darüber hinaus können Konsumenten ihr ethisches Verhalten durch die Art und Weise und Häufigkeit der Nutzung gekaufter Produkte sowie durch deren Entsorgung am Ende ihrer Lebensdauer zum Ausdruck bringen.
Die Idee, dass wir nicht nur für unsere Handlungen, sondern auch für unsere Unterlassungen verantwortlich sind, wird entweder dem französischen Dichter Molière (1622–1673) oder dem chinesischen Philosophen Laotse (Laozi) zugeschrieben, der im 6. Jahrhundert vor Christus gelebt haben soll.
Dieser Ansatz, dass wir nicht nur für das verantwortlich sind, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun, ist auch auf die Konsumentenverantwortung übertragbar.
Konsumenten sind nicht nur für ihre Kaufentscheidungen verantwortlich, sondern auch für die Auswirkungen, die ihre Entscheidungen auf die Gesellschaft und die Umwelt haben.
Konsumentensouveränität versus Produzentensouveränität
Die praktische Bedeutung der Konsumentenethik wird in zwei kontrovers diskutierten Ansätzen hinterfragt: dem Ansatz der Konsumentensouveränität (Verbrauchersouveränität) und dem Ansatz der Produzentensouveränität.
Hintergrund dieser Ansätze ist die Frage, wer letztlich den größeren Einfluss auf Konsumentscheidungen hat: die Nachfrager oder die Anbieter von Produkten.
Die Meinungen reichen dabei von der Annahme rational handelnder, souveräner Konsumenten bis hin zur Vorstellung, dass Unternehmen die Bedürfnisse der Konsumenten vollständig manipulieren können.
Die These der Konsumentensouveränität (Verbrauchersouveränität) geht davon aus, dass individuelle und freie Entscheidungen von mündigen und gut informierten Konsumenten das Angebot von Waren und Dienstleistungen so steuern, dass dem Allgemeininteresse am besten gedient wird.[6]
Die These der Produzentensouveränität geht hingegen davon aus, dass Unternehmen die Bedürfnisse und die Nachfrage der Konsumenten so beeinflussen können, dass diese dieser Manipulation mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind.[7]
Beide Definitionen werfen grundlegende Fragen auf:
-
Werden die Konsumenten als rational oder irrational handelnde Wesen betrachtet?
-
Welchen Einfluss haben Unternehmen auf die Bedürfnisse von Konsumenten?
-
In welchem Umfang können Unternehmen durch Marketing und Werbung die Nachfrage nach ihren Produkten beeinflussen, um ihren Absatz und Gewinn zu steigern?
Wie bei vielen konträren Standpunkten liegt die Wahrheit vermutlich irgendwo zwischen den beiden Ansätzen.
Bedeutung für die Lösung der Umweltkrise und den Tierschutz
Im Rahmen einer ökologisch ausgerichteten Konsumentenethik können Konsumenten freiwillig über die geltenden Bestimmungen hinaus bei ihren Kaufentscheidungen die Belange von Pflanzen, Tieren oder der unbelebten Natur berücksichtigen.
Die Kaufentscheidungen von Konsumenten, sowohl im Einzelhandel als auch in Online-Bezahlsystemen, spielen eine entscheidende Rolle, welche Produkte auf dem Markt angeboten werden und welche nicht.
Wenn die Konsumenten weltweit beispielsweise nicht laufend eine Vielzahl von Produkten an verschiedenen Orten nachfragen, werden diese auch nicht laufend an viele Orte der Welt transportiert.
Die folgenden Beispiele verdeutlichen das Spektrum der Auswirkungen
von Konsumentscheidungen auf das Angebot verschiedener Produkte:
-
Wenn Konsumenten hochwertige und langlebige Produkte bevorzugen, werden minderwertige und kurzlebige Produkte, die einem schnellen Verschleiß unterliegen, immer weniger angeboten.
-
Wenn Konsumenten wiederverwendbare und recycelbare Produkte bevorzugen, werden Wegwerfprodukte und nicht recycelbare Produkte immer weniger angeboten.
-
Wenn Konsumenten Produkte bevorzugen, die bei der Produktion, Lieferung und Nutzung einen geringen Energiebedarf und Rohstoffverbrauch erfordern, passt sich das Konsumgüterangebot ihren Wünschen an.
-
Wenn Konsumenten beispielsweise in Europa weniger Äpfel aus dem 18.000 km entfernten Neuseeland kaufen, verringert sich das Angebot von neuseeländischen Äpfeln in Europa.
-
Wenn Konsumenten beispielsweise in Europa weniger Schnittblumen aus dem 9.000 km entfernten Kolumbien kaufen, verringert sich das Angebot von kolumbianischen Schnittblumen in Europa.
-
Wenn Konsumenten weniger exotische Obst- und Gemüsearten kaufen, verringert sich deren Angebot.
Würde sich die mit Produkten und Dienstleistungen verbundene Belastung
der Natur in höheren Preisen ausdrücken, würden Konsumenten den Luxus
mancher Angebote, die sie konsumieren, bewusster wahrnehmen.
Wer überall und immer alle Produkte konsumieren möchte und dies auch tut, setzt damit ein Signal am Markt.
Wünschenswert wäre daher, dass sich die Konsumenten ihrer Mitverantwortung für den „Transportwahnsinn“, der täglich weltweit stattfindet, bewusster werden und ihre Kaufentscheidungen bewusster treffen.
Ein ähnlicher Zusammenhang besteht auch im Bereich des Tierschutzes und des Tierwohls:
-
Wenn Konsumenten keine Produkte kaufen, die ohne gesetzliche Verpflichtung mit Tierversuchen entwickelt wurden, werden diese auch nicht mehr angeboten und tierversuchsfreie Produkte setzen sich durch.
-
Wenn Konsumenten keine tierischen Produkte kaufen, die aus Massentierhaltung und unwürdigen Tiertransporte stammen, werden diese auch nicht mehr angeboten.
In einer Marktwirtschaft werden Produkte, die dem Tierwohl, der Natur
und der Umwelt zugutekommen, nur dann produziert und transportiert, wenn
es dafür Abnehmer und Käufer gibt.
Die Bereitschaft der Konsumenten, ihr Geld freiwillig für ökologisch nachhaltige und tierfreundliche Produkte auszugeben, spielt außerdem eine entscheidende Rolle, in welchem Umfang die Hersteller und Anbieter dieser Produkte mit Vermarktungsproblemen zu kämpfen haben.
Den Entscheidungen der Konsumenten an der Ladenkasse oder in Online-Bezahlsystemen kommt daher eine Schlüsselrolle für mehr Umweltschutz, Naturschutz, Tierschutz und nachhaltige Entwicklung zu.
Die Konsumentenethik hat somit das Potential, zur Bewältigung der Tier- und Umweltkrise beizutragen.
Die Macht der Konsumenten bei der Shell-Bohrinsel Brent Spar
Eine alltägliche Konsumentscheidung, wie das Tanken, eignet sich als Fallbeispiel für die Macht der Konsumenten. Im Jahr 1995 boykottierten deutsche Autofahrer die Tankstellen des Mineralölkonzerns Shell.
Dieser Boykott war eine Reaktion auf den massiven Protest der Umweltorganisation Greenpeace gegen die von Shell geplante Versenkung ihrer ausrangierten Bohrinsel Brent Spar in der Nordsee.
Der Protest von Greenpeace wurde durch eine bis dahin beispiellose Medienkampagne unterstützt, die in der deutschen Bevölkerung eine Welle der Entrüstung auslöste.
Doch erst der gezielte Boykott des Tankstellennetzes veranlasste Shell im Juni 1995 dazu, von einer Versenkung der Brent Spar abzusehen, um weitere Umsatzeinbrüche zu vermeiden.
Das Motto „Alle Macht den Konsumenten“ hatte sich als erfolgreich erwiesen und eine Sensation geschaffen:
Die Brent Spar wurde zu einem Symbol für die Ausbeutung der Meere und den wirkungsvollen Protest von Konsumenten durch eine gemeinschaftliche Konsumentscheidung.
Darüber hinaus schuf die Brent Spar einen Präzedenzfall für ökologische Verantwortung.
Sie warf die Frage auf, was mit den anderen 416 Öl-Bohrinseln in der Nordsee geschehen sollte, die seinerzeit in Betrieb waren und von denen in den folgenden zehn Jahren 75 zur Entsorgung anstanden.[8]
Auf der vierten Nordseeschutz-Konferenz im Juni 1995 sprachen sich die Minister der beteiligten Staaten mehrheitlich dafür aus, dass zukünftig alle ausgedienten Öl-Bohrinseln, selbst nach der Entfernung von Giftstoffen, auf dem Festland zu entsorgen sind.[9]
Ein generelles Versenkungsverbot für Öl-Bohrinseln in der Nordsee scheiterte am Widerstand von Norwegen und Großbritannien, die sich trotz der ökologischen Risiken eine Entscheidung im Einzelfall vorbehielten.[10]
Dennoch regte die Brent Spar eine umweltethische Diskussion darüber an, ob das Meer als Müllkippe für Industrieschrott, Ölrückstände, Schwermetalle und schwach radioaktive Substanzen verwendet werden darf.[11]
Es wurde die Frage aufgeworfen, ob sich die langfristigen Konsequenzen einer Versenkung dieser Materialien und Umweltgifte – nicht nur – in der Nordsee mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbaren lassen:
Ein ökologischer Niedergang der Weltmeere hätte verhängnisvolle Folgen für Menschen, Tiere und die Natur, da die Weltmeere global die Hälfte des Sauerstoffs produzieren.[12]
Es bleibt abzuwarten, ob die Konsumenten ihre Macht auch zukünftig bei alltäglichen Konsumentscheidungen wie dem Einkaufen nutzen werden. Dies könnte zu weiteren Vermarktungsproblemen von umweltunfreundlichen Produkten führen.
Eine derartige Revolution im Konsumverhalten könnte maßgeblich zur Milderung der Umweltkrise beitragen.
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Literaturangaben und Anmerkungen:
[1] Der Begriff "ökologisch" umfasst auch den Tierschutz, da er häufig im Zusammenhang mit der ökologischen Landwirtschaft verwendet wird. Diese legt großen Wert auf eine artgerechte und nachhaltige Tierhaltung, um das Tierwohl zu fördern. Darüber hinaus versucht sie, die Umweltbelastung durch die Landwirtschaft zu reduzieren, indem sie auf die Verwendung von Pestiziden verzichtet. Diese Maßnahmen tragen zur Artenvielfalt und zum Tierschutz bei.
[2] Liddell, Henry George/Scott, Robert (1996): A Greek-English Lexicon, 9. Auflage, S. 480, S. 766.
[3] Höffe, Otfried (1992), Lexikon der Ethik, 4. Aufl., Verlag C.H. Beck, München, S. 62.
[4] Homann, Karl/Blome-Drees, Franz: Unternehmensethik/Managementethik, in: Die Betriebswirtschaft, Jg. 55, Nr. 1/1995, S. 97.
[5] Einen Handlungsbedarf im Naturschutz, Umweltschutz und Tierschutz greifen beispielsweise ökologisch ausgerichtete Verbraucherschutzverbände und Unternehmensinitiativen sowie Tierrechtsverbände auf.
[6] Czerwonka, Christine/Schöpfe, Günter/Weckbach, Stefan (1976): Der aktive Konsument – Kommunikation und Kooperation, Schwartz-Verlag, Göttingen, S. 29.
[7] Galbraith, John Kenneth (1986): Die moderne Industriegesellschaft, Verlagsgruppe Droemer Knaur, München, S. 223–237.
[8] Friedrich, M. (1996): Offshore-Ölförderung, in: Greenpeace Magazin 5/96, Hamburg, S. 53.
[9] Greenpeace Magazin 4/96, Hamburg, S. 32.
[10] Ebenda, S. 32.
[11] Laut Umweltmanagement-Daten von Greenpeace aus dem Jahr 1996, die auf neutralen Umweltschutz-Überprüfungen beruht haben sollen, enthielten die Öl-Bohrinseln in der Nordsee zusammen etwa 2,6 Millionen Tonnen Stahl, 184.000 Tonnen nicht rostender Stahl, 193.000 Tonnen Aluminium, 174.000 Tonnen Kupfer, 10.500 Tonnen Zink, 1.800 Tonnen Blei, 2.200 Tonnen schwach-radioaktive Substanzen, 400 Tonnen Industriegase und 20 Tonnen krebserregende Polychlorierte Biphenyle (PCB) (Quelle: Greenpeace Magazin 4/96, Hamburg, S. 34).
[12] World Ocean Review 7 (2021): Lebensgarant Ozean – nachhaltig nutzen, wirksam schützen, Maribus, Hamburg, S. 12–13.
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