Welche Beispiele für globale Ökosysteme gibt es? Was sind globale Umweltprobleme? Welche Bedeutung haben die Weltmeere und tropischen Regenwälder für die » Bewältigung der Umweltkrise?
INHALT
Fehlen die finanziellen Mittel für einen weltweiten Naturschutz?
Der Begriff „globales Ökosystem“ bedeutet im Folgenden nach einer zweistufigen Definition:
1) Eine Lebensgemeinschaft (Biozönose) von nichtmenschlichen Lebewesen wie Algen, Flechten, Pflanzen, Pilzen, Tieren oder Mikroorganismen wie zum Beispiel Archaeen, Bakterien oder Pantoffeltierchen.
2) Die zuvor genannte Lebensgemeinschaft lebt in einem Lebensraum (Biotop), der sich über ein länderübergreifendes, großes Gebiet (Biom) erstreckt, mit dem sie in Beziehung steht.
Je nachdem, ob sich Ökosysteme im Wasser oder auf dem Festland oberhalb der Meeresoberfläche befinden, ist eine Unterteilung in terrestrische Ökosysteme (von lateinisch terra = Erde) und aquatische bzw. aquatile Ökosysteme (von lateinisch aqua = Wasser) möglich.
Beispiele für globale Ökosysteme, die eine große Bedeutung für die Lebensbedingungen der gesamten Menschheit auf der Erde haben, sind die tropischen Regenwälder und die Weltmeere.
Die tropischen Regenwälder, deren Fläche fast ein Drittel aller Wälder auf der Erde ausmacht, sind aktuell durch weitere Abholzung bedroht.[1]
Grafik: Weltkarte mit den tropischen Regenwäldern auf der Erde im Bereich des Äquators
Von der Abholzung betroffen sind insbesondere die drei größten Regenwälder: der
Amazonas in Südamerika, der Kongobecken-Regenwald in Westafrika und der Regenwald in Neuguinea in Südostasien.
Die Weltmeere als weitere Beispiele für Ökosysteme von globaler Bedeutung sind aktuell durch die zunehmende Verschmutzung mit Plastikmüll bedroht, der sich in fünf großen Meeresstrudeln sammelt.
Diese Müllstrudel befinden sich im Indischen Ozean, im Nordatlantischen Ozean, im Nordpazifischen Ozean, im Südatlantischen Ozean und im Südpazifischen Ozean.
Grafik: Die fünf großen Müllstrudel in den Meeren (Indischer Ozean, Nordatlantik, Südatlantik, Nordpazifik, Südpazifik)*
Im Folgenden wird erläutert, weshalb ein Schutz der tropischen Regenwälder dringend geboten ist und welche Maßnahmen ergriffen werden können, um deren Abholzung zu stoppen.
Die Zerstörung der tropischen Regenwälder auf der Erde hat dramatische Ausmaße erreicht.[1]
Besonders betroffen sind die Regionen der drei größten tropischen Regenwälder: Südamerika (Amazonas), Westafrika (Kongobecken) und Südostasien (Neuguinea).
Zwischen 2000 und 2010 wurden weltweit – abhängig von der Methode der Datenerfassung und Datenauswertung – zwischen 54 Millionen und 194 Millionen Hektar Regenwald abgeholzt.[2]
Nimmt man den höchsten Wert der Waldrodung als Grundlage, entspräche der Verlust an tropischen Regenwäldern
der 5,4-fachen Fläche der Bundesrepublik Deutschland.[3]
Foto: Abholzung der Tropenwälder in Afrika im Kongobecken, dem zweitgrößten tropischen Urwaldgebiet auf der Erde
Die Bedeutung der Tropenwälder als globale Ökosysteme liegt in ihrer Funktion als Wasserspeicher, Schadstofffilter, Sauerstofflieferant und ihrer biologischen Vielfalt (Biodiversität).
Bis heute wurden etwa 1,8 Millionen Arten von Lebewesen (Pflanzen, Pilze, Tiere) erforscht, wobei Ökologen schätzen, dass auf der Erde etwa 8,7 Millionen Arten leben.[4]
Der größte Vorrat an genetischen Informationen auf der Erde wird in den Tropenwäldern vermutet. Bereits heute werden Hunderte wichtige Medikamente aus Pflanzen und Tieren der tropischen Regenwälder gewonnen, die ausschließlich dort vorkommen.[5][6]
So soll der US-amerikanische Präsident Ronald Reagan sein Überleben nach einem Attentat unter anderem einem blutdrucksenkenden Medikament verdankt haben, das aus dem Gift einer Buschviper aus dem Amazonas-Regenwald entwickelt wurde.[7]
Die Abholzung der Tropenwälder bedeutet für die Menschheit einen unwiderruflichen Verlust dieser immensen „Naturapotheke“ und genetischen Datenbank mit ihren noch unerforschten Heilmitteln.
Neben der zuvor genannten globalen und medizinischen Bedeutung tropischer Regenwälder ist ihre Rodung mit schwerwiegenden Folgen für die Natur sowie die dort lebenden Menschen und Tiere verbunden:
Der Boden tropischer Regenwälder ist häufig nur mit einer dünnen Humusschicht bedeckt, die nach einer Abholzung durch nachfolgenden Monsunregen ausgewaschen wird.[8]
Als Folge dieser Bodenerosion verbleibt ein unfruchtbarer, wüstenähnlicher und nährstoffarmer Boden, auf dem Pflanzenwachstum nur schwer oder gar nicht mehr möglich ist.
Darüber hinaus sind Regenwaldflächen nach Abholzungen anfälliger für Waldbrände, Dürren und Niedergang als unberührte tropische Regenwälder.[9]
Neben seltenen Tierarten leben in tropischen Regenwäldern auch indigene
Völker, die infolge der Abholzung aus ihrem Lebensraum – oft gewaltsam –
vertrieben werden und in ihrer Existenz bedroht sind.[10]
Foto: Sumatra-Tiger (Panthera tigris sumatrae), die kleinste noch lebende Unterart des Tigers, die vom Aussterben bedroht ist
Die Abholzung tropischer
Regenwälder hat in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Zu nennen sind beispielsweise die Gewinnung
folgender Rohstoffe:
Bodenschätze wie Bauxit (Aluminium), Coltan, Erdgas, Kohle, Kupfer, Nickel, Öl oder Gold
Edelholz wie Bangkirai, Jatoba, Mahagoni, Meranti, Merbau, Palisander, Ramin, Teak oder Wenge
Zudem dienen Rodungen der Schaffung von Ackerflächen für Plantagen, auf denen unter anderem folgende Produkte angebaut werden:
Gewürze wie Kakao, Pfeffer, Vanille oder Zimt
Obst wie Ananas, Bananen, Ingwer oder Mango
Nutzpflanzen wie Baumwolle, Kautschuk, Palmöl, Soja oder Zuckerrohr
Aus forstwirtschaftlicher Perspektive werden tropische Regenwälder
abgeholzt, um auf den frei werdenden Flächen schnell wachsende Baumarten wie
Akazie und Eukalyptus zur Papierherstellung anzupflanzen.
Nicht zuletzt dient die Abholzung des tropischen Regenwaldes der Gewinnung von Weidefläche für die Viehzucht (Rinderzucht) sowie für Infrastrukturprojekte wie Staudämme oder Touristen- und Gütereisenbahnen.
Foto: Regenwald am Amazonas in Brasilien in der Nähe der brasilianischen Stadt Barcelos (Bundesstaat Amazonas)
Neben dem Verzicht auf Regenwaldprodukte beim Einkauf (vgl. » Konsumentenethik) stellt die Umwandlung tropischer Regenwälder in Naturschutzgebiete die wirksamste Maßnahme zum Schutz vor Abholzung dar.
Allerdings wird der Vorschlag, die tropischen Regenwälder nicht mehr wirtschaftlich zu nutzen, auf Widerstand der Länder stoßen, auf deren Gebiet sich diese befinden.
Den betroffenen Entwicklungsländern müsste daher ein Nutzungsausfall finanziell ausgeglichen werden.
Wie bereits im Kapitel über die » Rolle der Entwicklungsländer in der Umweltkrise dargestellt, verfügen nur die Industrieländer über die dafür notwendigen finanziellen Mittel.
Es bleibt abzuwarten, wann sich in den Industrieländern ein Bewusstsein dafür bildet, dass allein sie eine weitere Abholzung der tropischen Regenwälder stoppen können.
Nur durch eine Umwandlung in konsequent kontrollierte Naturschutzgebiete können die tropischen Regenwälder für zukünftige Generationen erhalten werden.
Neben der Verschmutzung der Meere mit Chemikalien, Düngemitteln, Erdöl, Lärm, Radioaktivität und Schwermetallen hat die Meeresverschmutzung durch Plastik dramatische Ausmaße erreicht.
Plastikmüll gelangt entweder über die Schifffahrt oder über Flüsse auf dem Festland in die Meere.
Im Folgenden wird erläutert, warum ein Stopp der weiteren Verschmutzung der Weltmeere mit Plastik dringend geboten ist und mit welchen Maßnahmen ein Schutz erreicht werden kann.
Zur Beantwortung der Frage nach dem Ausmaß der Plastikverschmutzung der Meere bietet sich der Abschlussbericht der Malaspina-Expedition zur Erforschung der Weltmeere an.
Die zwischen Dezember 2010 und Juli 2011 bei dieser Expedition entnommenen Wasserproben der Meeresoberfläche ergaben, dass 88 % Plastikteile enthielten.[11]
Es handelte sich hauptsächlich um Plastikteile mit einem Durchmesser von bis zu 1 cm , die – wie sich weiter zeigte – von Meerestieren wie Delfinen, Walen, Fischen und Vögeln aufgenommen werden.[12]
In den fünf größten Meeresstrudeln, dem Indischen, Nordatlantischen, Nordpazifischen, Südatlantischen und Südpazifischen Müllstrudel, konzentriert sich der Großteil des Plastikmülls in den Ozeanen.[13]
Der größte dieser Müllstrudel ist der Nordpazifische Müllstrudel. Er soll mindestens 79.000 Tonnen Plastik enthalten und ist auch als „Great Pacific Garbage Patch (GPGP)“ oder „Großer Pazifischer Müllteppich“ bekannt.
Der GPGP befindet sich zwischen Kalifornien und Hawaii und war mit einer Fläche von 1,6 Millionen Quadratkilometern im Jahr 2015/2016 bereits etwa 4,5-mal so groß wie die Fläche der Bundesrepublik Deutschland.[3][14]
Auch im Mittelmeer, das wie andere europäische Meere immer mehr zur Plastikhalde Europas wird, sind ähnlich hohe Konzentrationen von Plastikmüll zu verzeichnen wie in den fünf ozeanischen Müllstrudeln.[15]
Die Verschmutzung der Meere mit Plastik kann folgende lebensbedrohliche Konsequenzen für Meereslebewesen haben:
Meerestiere können Plastik fälschlicherweise als Nahrung aufnehmen. Dies kann zu einem falschen Sättigungsgefühl, Verstopfung und inneren Verletzungen führen und letztendlich zum Verhungern sowie zu Wachstumsstörungen, Immunschwäche oder Unfruchtbarkeit.
Absinkender Plastikmüll kann Korallen, Schwämme und schließlich auch den Meeresboden bedecken. Dies verringert die Versorgung dieser Bereiche mit Licht, Nahrung und Sauerstoff, wodurch sich auch die Artenvielfalt von Meerestieren oder Meerespflanzen wie Algen und Seegras reduzieren kann.
Das Verfangen von Meerestieren in zurückgelassenen Fischereinetzen, Reusen, Seilen und Schnüren kann Bewegungseinschränkungen, Strangulation, Wunden und letztendlich den Tod verursachen.
Foto: Eine Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas) hat sich in einem Geisternetz (herrenloses Fischernetz) verfangen
Weshalb ist der Schutz der Meere von solch großer Bedeutung? Plastikpartikel werden von Meereslebewesen aufgenommen und gelangen über die Hochseefischerei in Form von Nano- und Makroplastik in die menschliche Nahrungskette.
Die Verschmutzung der Weltmeere mit Plastikmüll hat somit auch negative Auswirkungen auf die Menschen.
Darüber hinaus schränkt herabsinkender Plastikmüll die Photosynthese von Meerespflanzen ein, da er ihnen das Licht entzieht. Dies führt zu einer Beeinträchtigung der Sauerstoffproduktion der Weltmeere.
Die Zukunft der Plastikverschmutzung der Ozeane erscheint angesichts der folgenden wissenschaftlichen Prognosen düster:
Die weltweite Plastikproduktion soll sich bis 2040 verdoppeln.[16]
Der jährliche Zufluss von Plastik in die Weltmeere soll sich bis 2040 verdreifachen.[17]
Die Makroplastik-Konzentration in den Ozeanen soll sich bis 2050 vervierfachen.[18]
Die Mikroplastik-Konzentration in den Ozeanen soll sich bis 2100 verfünfzigfachen.[19][20]
Demnach wird in den kommenden Jahrzehnten sowohl die produzierte Menge an
Plastik als auch die Makroplastik- und Mikroplastik-Konzentration in den
Weltmeeren zunehmen.
Die nachfolgende Grafik veranschaulicht die Länder, die als Hauptverursacher der weltweiten Plastikverschmutzung der Meere gelten:
Bild: Welche Länder verschmutzen die Ozeane besonders stark mit Plastikmüll? (Referenzlink), mehr Infografiken bei Statista
Gemäß der obigen Grafik sollte die Weltgemeinschaft China auffordern, die Verschmutzung der Meere durch unsachgemäße Entsorgung von Plastikmüll zu verhindern.
Auch die USA, als eines der reichsten Industrieländer auf der Welt, müssen dringend ihre Beteiligung an der Verschmutzung der Weltmeere mit Plastikmüll einstellen.
Sowohl China als auch die USA verfügen über die finanziellen Mittel, um ihren Beitrag zum Schutz der Meere zu leisten. Anderes verhält es sich mit den Schwellen- und Entwicklungsländern.
Dort kann eine
ganzheitliche, ökologische Müllentsorgung die Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll durch folgende Maßnahmen verhindern:
- Nachhaltige Abfallverwertung durch Wiederverwertung (Recycling)
- Verwendung nachhaltiger Rohstoffe für Produkte und Verpackungen
- Abfallvermeidung, um die Gesamtmenge an Abfall zu reduzieren
Die Planung, Umsetzung und Kontrolle
einer ökologischen Müllentsorgung sind erwartungsgemäß mit erheblichen Zusatzkosten im Vergleich zu einer
unkontrollierten Müllentsorgung in der Natur verbunden.
Wie im Kapitel » Entwicklungsländer erläutert, hat die Beseitigung von Hunger und Armut in den Entwicklungsländern und die Erreichung von Wohlstand in den Schwellenländern Vorrang vor Maßnahmen im Bereich Naturschutz und Umweltschutz.
Aus diesen Gründen ergeben sich folgende Aufgaben für die Industrieländer, die zum weltweiten Schutz der Weltmeere vor
Verschmutzung mit Plastikmüll aus finanziellen Gründen nur sie erfüllen können:
Finanzielle und technologische Unterstützung der Entwicklungsländer und Schwellenländer bei der Einführung einer ganzheitlichen und ökologischen Müllentsorgung.
Aufbau eines weltweiten Kontrollsystems für Mülltransporte und für die Müllentsorgung.
Dieses Kontrollsystem muss einerseits alle wichtigen großen Flüsse und
Küstenbereiche überwachen, um sicherzustellen, dass von dort kein Müll
in Gewässer unerkannt eingeleitet werden kann.
Andererseits muss es sicherstellen, dass die Ladung jedes Schiffes inklusive der
Schiffsverpflegung (z. B. Plastikflaschen und Plastikverpackungen)
weltweit überprüft wird, bevor es einen Hafen verlässt und wenn es
wieder in einem Hafen angelegt hat.
Wer sonst außer den Industrieländern kann diese Maßnahmen zum Schutz der Meere bewerkstelligen?
Angesichts der existenziellen Bedrohung der Tropenwälder und Ozeane stellen sich folgende Fragen:
Fehlen in den Industrieländern die finanziellen Mittel, um den weltweiten Naturschutz zu fördern?
Besteht eine Fehlverteilung (Fehlallokation) der finanziellen Mittel in den Industrieländern?
Fehlt das Bewusstsein in den Industrieländern für die
Konsequenzen einer weiteren Zerstörung der Weltmeere und
der Tropenwälder als Ökosysteme von globaler Bedeutung für sie selbst?
Die Industrieländer konzentrieren sich erkennbar in erster Linie auf den Naturschutz innerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen und erheblich weniger auf den weltweiten Naturschutz.
Dies lässt sich beispielsweise an der Einführung von Abgasnormen und der damit zusammenhängenden Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs für neue Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren veranschaulichen.
Diese Normen wurden in den vergangenen drei Jahrzehnten in zahlreichen Industrieländern, darunter die EU, Japan und die USA, mit erheblichen finanziellen Mitteln eingeführt (beispielsweise durch Katalysatoren, Partikelfilter oder die Abwrackprämie) und schrittweise verschärft.
Obwohl die technischen Verbesserungsmöglichkeiten zunehmend geringer werden, sollen diese Normen, beispielsweise in der EU ab 2028 mit einer Euro-7-Norm, weiter verschärft werden.
Obwohl sich bildlich gesprochen abzeichnet, dass Milliarden von Menschen in Afrika, China, Indien, dem Nahen Osten, Südostasien und Südamerika ihre Fahrräder und Lasttiere gegen Motorfahrzeuge austauschen werden.
Zweifellos war die Einführung von Verbrauchs- und Abgasnormen in den Industrieländern ein wichtiger Schritt in den letzten drei Jahrzehnten für den weltweiten Natur- und Umweltschutz.[21]
Wichtig war dieser Schritt für den weltweiten Natur- und Umweltschutz deshalb, weil der überwiegende Anteil der weltweiten Schadstoffemissionen lange Zeit von den Industrieländern ausgestoßen wurde.
In der heutigen Zeit stellt sich jedoch die Frage, ob eine weitere Verschärfung
der Verbrauchs- und Abgasnormen in den Industrieländern aus globaler Sicht nicht an
Rationalitätsgrenzen stößt.
Der angesichts des milliardenschweren finanziellen Aufwands, der dafür erforderlich wäre, stünde im Widerspruch dazu, dass der weltweite Zuwachs der PKW-Flotte in diesem Jahrhundert nicht in den Industrieländern, sondern in den Entwicklungs- und Schwellenländern stattfinden wird.[22]
Es zeichnet sich ab, dass in den Industrieländern der Grad der PKW-Motorisierung und der PKW-Nutzung stagnieren wird, während dieser in den Entwicklungsländern und Schwellenländern stark zunehmen wird.[23]
Historisch betrachtet vergrößerte sich die weltweite PKW-Flotte in dem Zeitraum zwischen 1970 und 1990 von 250 auf 560 Millionen Fahrzeuge.[24] Bis 2013 stieg sie weiter auf 900 Millionen Fahrzeuge an.[25]
Bis 2035 soll die weltweite PKW-Flotte nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur aufgrund der hohen automobilen Dynamik der Schwellenländer auf 1,7 Mrd. Fahrzeuge anwachsen.[26]
Bis 2050 soll die weltweite PKW-Flotte nach einer Studie der Weltbank auf 2,9 Mrd. Fahrzeuge anwachsen, und die bislang geltende 30-zu-70-Prozent-Verteilung des Automobilbesitzes in Entwicklungs- und Industrieländern wird sich umkehren.[27]
Gemäß dieser Prognosen wird die Verdreifachung der weltweiten PKW-Flotte von 2013 bis 2050 ausschließlich auf die Zunahme der PKW-Flotte in den Schwellen- und Entwicklungsländern zurückzuführen sein.
Dies wirft die Frage auf, ob weitere Reduzierungen des Verbrauchs und der Schadstoffemissionen in den Industrieländern als rational bezeichnet werden kann bezogen auf die weltweite Reduzierung des Ölverbrauchs und des damit verbundenen Schadstoffausstoßes.
Alternativ könnten die finanziellen Mittel für diese relativ geringe weitere
Schadstoffreduktion in den Industrieländern auch folgendermaßen investiert werden:
a) Schadstoffreduktion in
den Entwicklungsländern und Schwellenländern.
b) Maßnahmen zum Schutz der
Weltmeere und der tropischen Regenwälder.
Ökonomisch betrachtet, gilt es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen nationalem und weltweitem Umweltschutz herzustellen, bei dem der höchste Grenznutzen der Mittelverwendung erreicht wird.
Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht einer Grenznutzenbetrachtung
unausweichlich, verschiedene Umweltschutzentscheidungen in den
Industrieländern zu hinterfragen:
1) Reduzierung des weltweiten Flottenverbrauchs
Fraglich ist, ob es hinsichtlich der Reduzierung des weltweiten Flottenverbrauches effizient ist, in den Industrieländern mit hohem Kosten die bestehenden Abgas- und Verbrauchsnormen weiter zu verschärfen.
Eine effizientere Reduktion des weltweiten Flottenverbrauchs wäre realisierbar, indem die Industrieländer den Entwicklungsländern preiswerte, robuste, einfach konstruierte und umweltfreundliche Fahrzeuge ermöglichen.
Wie sich abzeichnet, bleiben Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren in den Entwicklungsländern auf unbestimmte Zeit aus folgenden Gründen die einzige massentaugliche Technologie:
a) Die Verfügbarkeit von Energie und die Infrastruktur für Elektromobilität ist nicht gewährleistet – selbst in den Industrieländern sind gerade in den Innenstädten bei Weitem nicht Ladestationen flächendeckend verfügbar.
b) Elektrofahrzeuge sind aufgrund ihrer hohen Anschaffungskosten und
Reparationskosten bei einem notwendigen Austausch von Batterien oder
Hochvoltkomponenten für weite Teile der Bevölkerung unerschwinglich.
c) Einfacher konstruierte Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor können ohne spezielle Werkzeuge und Kenntnisse über Antriebssysteme, Batterien und andere elektrische Komponenten selbst gewartet und repariert werden.
2) Export von Altfahrzeugen in Entwicklungsländer
Fraglich ist auch, ob es hinsichtlich der Reduzierung des weltweiten Umweltschutzes effizient ist, wenn Altfahrzeuge aus den Industrieländern in Entwicklungsländer exportiert werden.
Bezogen auf den weltweiten Umweltschutz spielt es keine
Rolle, ob Altfahrzeuge bis zu ihrem Produktlebensende in den
Industrieländern oder in den Entwicklungsländern in Betrieb sind.
Dem weltweiten Umweltschutz wäre mehr gedient, würden die Industrieländer
den Entwicklungsländern sparsame, umweltfreundliche, robuste und einfach zu
reparierende Fahrzeuge zur Verfügung stellen würden.
Verhältnis von nationalem zu internationalem Umweltschutz
Industrieländer, die den weltweiten Umweltschutz und Verbrauch natürlichen Rohstoffe – besonders von Erdöl – im Fokus haben, könnten Folgendes vermehrt hinterfragen:
In welchem Verhältnis stehen die Ausgaben für mehr Umweltschutz innerhalb der eigenen Landesgrenzen zu den Ausgaben für mehr weltweiten Umweltschutz?
Festhalten lässt sich, dass Maßnahmen seitens der Industrieländer zum Schutz globaler Ökosysteme und für mehr Umweltschutz in den Entwicklungsländern gegenwärtig unzureichend und unterfinanziert sind.[28]
Dies kann daran überprüft werden, ob ansonsten ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stünden, um
a) Ländern mit tropischen Regenwäldern einen wirtschaftlichen Ausgleich zu bezahlen, wenn diese auf deren Nutzung verzichten sollen und Regenwälder in kontrollierte Naturschutzgebiete umgewandelt werden.
b) Maßnahmen zu ergreifen, Plastikmüll aus den Weltmeere zu entfernen und ihre neuerliche Verschmutzung über die Hochseeschifffahrt und die Zuflüsse der Meere durch lückenlose Kontrollen zu verhindern.
Allerdings ist die Unterfinanzierung nicht nur die Folge des (noch) unstimmigen Verhältnisses in den Industrieländern zwischen den Ausgaben für nationalen Umweltschutz und weltweiten Umweltschutz.
Die Unterfinanzierung von globalen Umweltschutzmaßnahmen ist auch auf weltweite Kriege zurückzuführen. Unabhängig davon, dass Kriege die Natur zerstören, beanspruchen sie weltweit Geldmittel im Billionen-Bereich.
So betrugen 2023 die weltweiten Militärausgaben über 2,4 Billionen US-Dollar – Finanzmittel, die für den Schutz globaler Ökosysteme und den Umweltschutzes in Entwicklungsländern nicht zur Verfügung stehen.[29]
Ein konsequent vertretener und gelebter Wille in den Industrieländern zum Frieden auf der
Welt ist somit auch ein indirektes Bekenntnis zu mehr internationalem Umweltschutz.
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Literaturangaben und Anmerkungen:
[1] Siebert, Sebastian; Uhlenbrock, Kristian; Hebold, Wiebke; Pyritz, Eberhard (2019): Infoblatt Ursachen und Folgen der Zerstörung der tropischen Regenwälder, erschienen in: Geographie Infothek, Klett-Verlag, Leipzig, S. 3.
[2] Ebenda, S. 1/4.
[3] Zum Jahresende 2022 betrug die Fläche der Bundesrepublik Deutschland nach der Genesis Datenbank des Statistischen Bundesamtes (erreichbar unter www.destatis.de) 35.759.500 Hektar, also 357.595 km2 [abgerufen am 16.11.2023]
[4] Naturschutzjugend (NAJU) im NABU (2015): Fokus „Biologische Vielfalt“ – Von der Naturerfahrung zur politischen Bildung, Aktionsheft für Schülerinnen und Schüler, Sekundarstufe (Digital), Berlin, S. 5.
[5] Sitte, Peter; Weiler, Elmar; Kadereit, Joachim W.; Bresinsky, Andreas; Körner, Christian: Lehrbuch der Botanik für Hochschulen (2002), begründet von E. Strasburger, 35. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag (SAV), Heidelberg, S. 10.
[6] Gore, Al (1992): Wege zum Gleichgewicht – Ein Marshallplan für die Erde, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, S. 131.
[7] Ebenda, S. 131.
[8] Siebert, Sebastian; Uhlenbrock, Kristian; Hebold, Wiebke; Pyritz, Eberhard (2019): Infoblatt Ursachen und Folgen der Zerstörung der tropischen Regenwälder, erschienen in: Geographie Infothek, Klett-Verlag, Leipzig, S. 3.
[9] Werner, Wolfgang (2003): Toasted Forests – Evergreen Rain Forests of Tropical Asia under Drought Stress, ZEF – Discussion Papers On Development Policy No. 76, Center for Development Research, Bonn, S. 2.
[10] Siebert, Sebastian; Uhlenbrock, Kristian; Hebold, Wiebke; Pyritz, Eberhard (2019): Infoblatt Ursachen und Folgen der Zerstörung der tropischen Regenwälder, erschienen in: Geographie Infothek, Klett-Verlag, Leipzig, S. 3.
[11] Cozar, A.; Gonzaĺez-Gordillo; Echevarría, F.; J.I. et al. (2014): Plastic debris in the open ocean, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, Vol. 111, No. 28, S. 10239/10240.
[12] Ebenda, S. 10239.
[13] Plastikatlas 2019 - Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff (2021), Hrsg.: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Heinrich-Böll-Stiftung, 6. Auflage, ISBN 978-3-86928-200-8, S. 28.
[14] Vgl. Studie in der Fachzeitschrift Scientific Reports: Lebreton, L.; Ferrari, F.; Slat, B. et al. (2018): Evidence that the Great Pacific Garbage Patch is rapidly accumulating plastic, Sci Rep 8, 4666, https://doi.org/10.1038/s41598-018-22939-w, S. 1/2.
[15] Plastikatlas 2019 - Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff (2021), Hrsg.: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Heinrich-Böll-Stiftung, 6. Auflage, ISBN 978-3-86928-200-8, S. 28.
[16] The Pew Charitable Trusts and SYSTEMIQ (2020): Breaking the Plastic Wave – A Comprehensive Assessment of Pathways Towards Stopping Ocean Plastic Pollution, S. 14.
[17] Ebenda, S. 9.
[18] Lebreton, L., Egger, M., Slat, B. (2019): A global mass budget for positively buoyant macroplastic debris in the ocean, Sci Rep 9 (1), S. 12922.
[19] Makroplastik mit einem Durchmesser größer als fünf Millimeter wandelt sich im Meer durch das Sonnenlicht, das Salzwasser und die durch den Wellengang bewirkte Reibung einzelner Teile aneinander im Laufe der Zeit in Mikroplastik um.
[20] Everaert, G., Van Cauwenberghe, L., De Rijcke, M., Koelmans, A., Mees, J., Vandegehuchte, M., Janssen, C. R. (2018): Risk assessment of microplastics in the ocean: Modelling approach and first conclusions. Environ Pollut 242 (Pt B), S. 1930–1938.
[21] In der EU traten folgende Abgasnormen für PKWs mit Benzin- und Dieselmotoren in Kraft: Euro 1 (1993), Euro 2 (19972), Euro 3 (2001), Euro 4 (2006), Euro 5a (2011), Euro 5b (2013), Euro 6b (2015), Euro 6c (2018), Euro 6d TEMP (2019), Euro 6d (2021) und Euro 6e (2024). Ab 2028 soll dann die Euro-7-Abgasnorm gelten. Im selben Zeitraum wurden und werden auch Abgasnormen für Busse, leichte Nutzfahrzeuge und LKWs eingeführt. In den USA wurden die ersten Abgasnormen 1994 eingeführt.
[22] Zu den Kosten einer Einführung der Euro-7-Abgasnorm hat die Wirtschaftsberatungsgesellschaft Frontier Economics eine Studie veröffentlicht, wonach die direkten Mehrkosten durchschnittlich 2.000 Euro für PKWs, 2.000 Euro für Nutzfahrzeuge bis 3,5 t und 12.000 Euro für Busse und LKWs betragen werden, vgl. Frontier Economics (2023): Regulatory costs of Euro 7 – Findings from an industry survey, S. 3.
Auf der Basis, dass in der EU im Jahr 2023 etwa 10 Mio. PKWs, 1,5 Mio. Nutzfahrzeuge bis 3,5 t und 380.000 LKWs neu zugelassen wurden und vorausgesetzt, dass die Neuzulassungen etwa in diesem Bereich bleiben werden, würden sich demnach durch die Einführung einer Euro-7-Norm direkte Mehrkosten ab 2028 in den kommenden fünf Jahren von etwa 140 Mrd. Euro ergeben.
Vgl. European Automobile Manufacturers’ Association Acea (2024): New car registrations European Union 2023, S. 5. und New commercial vehicle registrations European Union 2023, S. 3/6/7.
[23] Shell Deutschland Oil GmbH (Hrsg.): Shell PKW-Szenarien bis 2040 - Fakten, Trends und Perspektiven für Auto-Mobilität, Hamburg, S. 9.
[24] v. Weizsäcker, Ernst Ulrich/Lovins, Amory B./Lovins L. Hunter (1995), Faktor vier: Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch. Der neue Bericht an den Club of Rome, Droemer Knaur Verlagsgruppe, München, S. 286.
[25] Shell Deutschland Oil GmbH (Hrsg.): Shell PKW-Szenarien bis 2040 – Fakten, Trends und Perspektiven für Auto-Mobilität, Hamburg, S. 9.
[26] Ebenda, S. 9.
[27] Kierzkowski, Henryk (2009): A New Global Auto Industry?, Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung (IHEID), Genf/Schweiz, S. 27.
[28] Das Bewusstsein in den Industrieländern für die globalen ökologischen Folgen einer weiteren Abholzung der tropischen Regenwälder und Verschmutzung der Weltmeere mit Plastikmüll ist Forschungsgebiet der Umweltethik.
Sie beschäftigt sich mit der Frage, aus welchen Motiven heraus neben den Menschen anderen Lebewesen oder auch der unbelebten Natur eigenständige Rechte zugebilligt werden. In der Umweltethik können folgende Ansätze unterschieden werden:
Anthropozentrismus: nur die Menschen haben Eigenrechte, wobei das alle beträfe, auch die in den Entwicklungsländern
Pathozentrismus: alle leidensfähigen Lebewesen haben Eigenrechte, d. h. auch Tiere im Regenwald und den Weltmeeren
Biozentrismus: alle Lebewesen haben Eigenrechte, d. h. auch Pflanzen, Pilze und Algen, im Regenwald und den Meeren
Ökozentrismus (Holismus): die gesamte Natur hat Eigenrechte, d. h. auch Ökosysteme wie der Regenwald und die Meere
[29] Tian, Nan/da Silva, Diego Lopes/Liang, Xiao/Scarazzato, Lorenzo (2024): Trends in world military expenditure 2023, in: SIPRI Fact Sheet, April 2024, S. 1.
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