Was bedeutet Physiozentrismus einfach erklärt? Welche Probleme der praktischen Umsetzung zeigen sich in einer ethischen Diskussion umweltethischer Positionen jenseits des Anthropozentrismus?
INHALT
Was ist Physiozentrismus? Die physiozentrische Umweltethik (von griechisch physis = Natur) geht davon aus, dass nichtmenschlichen Bestandteilen der Natur eigenständige Rechte zukommen sollten.
Sie kann als begriffliche Zusammenfassung aller umweltethischen Positionen verstanden werden, welche die Sonderstellung der Menschen in der Natur als alleinige Träger von Rechten aufheben.
Der Physiozentrismus durchbricht die Sonderstellung der Menschen im Anthropozentrismus und umfasst die umweltethischen Ansätze des Pathozentrismus, Biozentrismus und Ökozentrismus (Holismus).
Während die anthropozentrische Umweltethik allem Nichtmenschlichen in der Natur keine Eigenrechte zugesteht, erweitern die Ansätze des Physiozentrismus diese Rechte stufenweise:
So werden in der Pathozentrik allen leidensfähigen Lebewesen, in der Biozentrik allen Lebewesen und in der ganzheitlichen Ökozentrik (Holistik) auch der unbelebten Natur Eigenrechte zugestanden.
Aus diesem Grund können die pathozentrische, biozentrische und holistische (ökozentrische) Umweltethik mit dem Begriff Physiozentrismus oder Physiozentrik zusammengefasst werden.
Bei der praktischen Anwendung umweltethischer Positionen jenseits der anthropozentrischen Umweltethik können sich Probleme der Güterabwägung ergeben.[1]
Im Zusammenhang mit dem Pathozentrismus, Biozentrismus und Ökozentrismus (Holismus) sind unter dem Begriff „Güter“ Rechte und Interessen von Lebewesen und unbelebter Natur zu verstehen.
Bei diesen Gütern kann es sich zum Beispiel um Lebensräume, Bewegungsfreiheit, körperliche Unversehrtheit, Unberührtheit, Natürlichkeit, Urwüchsigkeit oder den Erhalt der eigenen Existenz handeln.
Erst die praktische Anwendung einer pathozentrischen, biozentrischen oder holistischen Umweltethik kann die Menschheit mit folgender Frage konfrontieren:
Beeinträchtigt ihr Handeln oder ihr Nichthandeln die Güter von Tieren, Pflanzen oder unbelebter Natur?
Wenn nicht alle Güter gleichzeitig berücksichtigt (verwirklicht) werden können, müssen Menschen unweigerlich eine Güterabwägung vornehmen, um eine ethisch richtige Entscheidung treffen zu können.
Dabei wird der Wert verschiedener Güter, Rechte oder Interessen von Menschen, Tieren, Pflanzen und unbelebter Natur ermittelt und miteinander verglichen.
Eine Abwägung erfolgt dann zugunsten der höherwertigen Güter, wobei darauf zu achten ist, dass die niederwertigeren Güter mit dem kleinsten Übel belastet werden und die Belastung unverzichtbar ist.
Nachfolgend werden fünf Probleme der Güterabwägung
analysiert, die sich bei der praktischen Umsetzung von Positionen einer physiozentrischen
Umweltethik ergeben:
Die Anzahl der zu berücksichtigenden Interessen
Die fehlende Neutralität
Die Durchsetzung von Rechten
Die Wahrnehmung von Pflichten
Die Bestrafung von Pflanzen durch Pflanzengerichte und von Tieren durch Tiergerichte
Bei den drei aufeinander aufbauenden, physiozentrischen Ansätzen sind in konkreten Entscheidungssituationen zunehmend konkurrierende Interessen zu berücksichtigen.
Ausgehend davon, dass Pflanzen keine
leidensfähigen Lebewesen sind, gilt es bei der pathozentrischen
Umweltethik, die Interessen von Menschen und leidensfähigen Tieren gegeneinander abzuwägen.
Beim Ansatz einer biozentrischen Umweltethik sind die Interessen aller Lebewesen zu berücksichtigen.
Klammert man aus Gründen der Vereinfachung Lebewesen wie Algen, Flechten, Pilze und Kleinstlebewesen wie Archaeen und Bakterien aus, dann gilt es bei der biozentrischen Umweltethik, die Interessen von Menschen, Tieren und Pflanzen gegeneinander abzuwägen.
Eine Güterabwägung im Biozentrismus betrifft also die Rechte von:
Menschen und Tieren
Menschen und Pflanzen
Tieren und Pflanzen
Dieser Vereinfachung folgend, gilt es bei der holistischen (ökozentrischen) Umweltethik, die Interessen
von Menschen, Tieren, Pflanzen und unbelebter Natur gegeneinander abzuwägen.
Eine Güterabwägung im Holismus (Ökozentrismus) betrifft also die Rechte von:
Menschen und Tieren
Menschen und Pflanzen
Menschen und der unbelebten Natur
Tieren und Pflanzen
Tieren und der unbelebten Natur
Pflanzen und der unbelebten Natur
Von der anthropozentrischen, über die pathozentrische und biozentrische bis hin zur holistischen Umweltethik sind also immer mehr Kriterien notwendig, um in einem konkreten Fall die Interessen aller Rechteinhaber gegeneinander abwägen zu können.
Wenn in einer konkreten Situation die Interessen von Menschen, Tieren, Pflanzen und der Natur zu berücksichtigen sind, stellt sich bei einer Güterabwägung die Frage nach der Neutralität.
Kann ein Entscheidungskonflikt darüber, wessen Interessen letztlich die wichtigeren sind, gelöst werden, ohne dass an der Sonderstellung der Menschen festgehalten wird?
So können in der pathozentrischen Umweltethik nur Menschen festlegen, welche Tiere als leidensfähig gelten und daraus resultierend, welchen Tieren eigenständige Rechte zugebilligt werden.
Der dabei zu erwartende Mangel an Neutralität kann als gegeben betrachtet werden, weil Menschen bekanntermaßen dazu neigen, den Wert von Tieren aufgrund individueller Vorlieben zu bestimmen.
Das zeigt die Ungleichbehandlung von sog. „Haustieren“ und „Nutztieren“ in vielen westlichen Ländern.
Ebenso können in der biozentrischen Umweltethik nur Menschen festlegen, welche Organismen als schützenswerte Lebewesen gelten und welchen Lebewesen eigenständige Rechte zugebilligt werden sollen.
Auch der dabei zu erwartende Mangel an Neutralität kann als gegeben betrachtet werden, weil Menschen bekanntermaßen den Wert von Pflanzen aufgrund individueller Vorlieben bestimmen.
Sei es, dass sie willkürlich Pflanzen als „Unkraut“ definieren oder sei es, dass sie Pflanzen unter dem Gesichtspunkt bewerten, ob sie als Arzneipflanzen, Nutzpflanzen oder Zierpflanzen einen Wert haben.
Und wer sonst außer Menschen kann in der holistischen Umweltethik zum Beispiel die Schönheit der Natur bewerten, um zu bestimmen, was in der Natur in seiner Ursprünglichkeit erhalten bleiben sollte?
Selbst wenn es in der Wissenschaft oder Philosophie einen objektiven Maßstab für Schönheit gäbe:
Die Festlegung, was in der Natur schön ist und was nicht, kann letztendlich immer nur das Ergebnis der subjektiven Wahrnehmung von Menschen sein.
Das Manko von Neutralität, das sich dabei zeigt, kann auch nicht dadurch aufgehoben werden, indem über die Schönheit in der Natur abgestimmt werden würde.
Wenn überhaupt, könnten Abstimmungen die Neutralität verbessern, jedoch nicht herstellen.
Denn an dieser Abstimmung könnte der davon betroffene Träger von Rechten, nämlich die Natur, selbst nicht teilnehmen. Die Natur ist davon abhängig, dass ihr Menschen eine Stimme verleihen.
In diesem Zusammenhang stellen sich zum Beispiel die folgenden beiden Fragen:
Ist mit Naturschönheit die „Schönheit der Wildnis“ gemeint, die der Mensch sehr oft als hässlich und unkultiviert empfindet?
Oder ist mit Naturschönheit eine Parkanlage oder ein „gepflegter Garten“ gemeint, die das Ergebnis künstlerischer Gartengestaltung sind?
Wenn allerdings die Natur nur dann „schön“ ist, wenn Menschen sie als schön empfinden, dann würde die Natur zur bloßen Sache degradiert und ein Mittel zum Zweck für menschliche Interessen.
Weiter wäre zu klären, ob die Definition von Naturschönheit überhaupt davon bestimmt werden sollte, was die Mehrheit der Menschen als schön empfindet.
Sollte das der Fall sein, dann bliebe das Problem, welche Mehrheiten in einem konkreten Fall vorliegen müssten: ob eine einfache Mehrheit oder eine qualifizierte Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit.
Letztlich sind alle Umweltethiken des Physiozentrismus mit dem Problem fehlender Neutralität behaftet und Güterabwägungen sind anthropozentrisch bestimmt, sprich die Interessen der Menschen überwiegen.
Andernfalls müsste es eine höchste, unparteiische Instanz geben, von der aus jenseits aller menschlichen Bedürfnisse und Interessen Güterabwägungen vorgenommen werden.
Bei allen umweltethischen Ansätzen des Physiozentrismus sind Tiere, Pflanzen und die unbelebte Natur bei der Formulierung und Durchsetzung ihrer Rechte auf einen Vertreter angewiesen.
Die einzige dafür in Frage kommende Instanz sind die Menschen, weil sie die einzigen Lebewesen mit Denkvermögen und Urteilsvermögen auf der Erde sind.
Dabei ist unklar, ob in allen Fällen die Bereitschaft bei Menschen bestünde, nicht menschliche Interessen durchzusetzen, wenn dadurch eigene Interessen oder die eigene Existenz in Frage gestellt würden.
Ebenfalls ist unklar, ob überhaupt allen Tieren und Pflanzen oder allen Bestandteilen der unbelebten Natur ein menschlicher Vertreter zur Seite gestellt werden könnte, um deren Rechte durchzusetzen.
Sollte das nicht möglich oder gewünscht sein, dann müsste eine Auswahl besonders wichtiger Tiere, Pflanzen und Natur-Bestandteile getroffen werden, deren Interessen durchgesetzt werden sollen.
Dabei würde sich erneut das Dilemma zeigen, dass bei dieser Auswahl wieder Menschen die entsprechende Instanz wären und die getroffene Auswahl von anthropozentrischen Motiven bestimmt würde.
Wenn bei den drei Ansätzen einer physiozentrischen Umweltethik auch Tiere, Pflanzen oder die unbelebte Natur eigene Rechte haben sollen, so müssen sie auch ihrerseits Pflichten gegenüber anderen Rechteinhabern wahrnehmen.
Das setzt voraus, dass sie nicht nur direkte und indirekte Folgen ihres Handelns auf die Rechte anderer erkennen können, sondern auch ihr eigenes Handeln ethisch beurteilen können.
Diese Fähigkeiten sind offenkundig weder bei Pflanzen und Tieren noch der unbelebten Natur gegeben.
Werden demzufolge gleiche Rechte für Menschen, Tiere, Pflanzen und unbelebte Natur gefordert, so wäre damit automatisch eine Ungleichbehandlung von Menschen verbunden.
Wie ließe sich eine solche Ungleichbehandlung begründen, die nur Menschen ethisch verurteilen würde, wenn sie die Rechte von Tieren, Pflanzen und der unbelebten Natur missachten?
Müssten nicht gleichermaßen Tiere ethisch kritisiert werden, wenn sie die Rechte von Menschen, von anderen Tieren, von Pflanzen und von unbelebter Natur missachten?
Müssten nicht gleichermaßen Pflanzen ethisch kritisiert werden, wenn sie die Rechte von Menschen, von Tieren, von anderen Pflanzen und der unbelebten Natur missachten?
Müsste nicht gleichermaßen die unbelebte Natur ethisch kritisiert werden, wenn sie die Rechte von Menschen, Tieren und Pflanzen missachtet?
Damit ein Rechtssystem einer Gemeinschaft funktionieren kann, müssen alle Rechteinhaber in dieser Gemeinschaft auch die Regeln, also ihre Rechte und Pflichten, verstehen und danach handeln können.
Bei den Ansätzen der physiozentrischen Umweltethik müssten Tiere und Pflanzen genauso wie Menschen bestraft werden, wenn sie Rechte anderer Lebewesen missachten.
Denn nach allgemeinem Gleichheitsgrundsatz müssen alle Inhaber von Rechten vor dem Gesetz gleich behandelt werden. Diesem Gedanken folgend, müsste es Pflanzengerichte und Tiergerichte geben.
Dabei würden sich allerdings in der Praxis folgende Probleme bei einer gerechten Urteilsfindung ergeben:
Wie wären vor einem Tiergericht Fälle von Tieren zu beurteilen, welche die Rechte anderer Tiere missachten? Sei es, weil sie andere Tiere verletzten, vergiften oder fressen?
Wie wären vor einem Tiergericht Fälle von Tieren zu beurteilen, die Rechte von Menschen missachten? Sei es, weil sie Menschen verletzen, vergiften oder fressen?
Wie wären vor einem Tiergericht Fälle von Heuschrecken zu beurteilen, die ganze Landstriche kahlfressen und damit die Existenz dortiger Menschen bedrohen oder eine Landschaftsveränderung bewirken?
Wie wären vor einem Pflanzengericht schnell wachsende Bäume zu beurteilen, die langsam wachsende Bäume ihrer Existenz berauben, indem sie ihnen Licht und Nährstoffe zur Photosynthese wegnehmen?
Wie wären vor einem Pflanzengericht Pflanzen zu beurteilen, die andere Pflanzen ihrer Existenz berauben, die wiederum die Lebensgrundlage bestimmter Tiere sind?
Wie wären fleischfressende Pflanzen zu beurteilen, die auch auf Tiernahrung verzichten können und damit nur in Kauf nehmen müssten, dass sie weniger Nährstoffe erhalten und langsamer wachsen?
Bereits diese wenigen Beispiele verdeutlichen die Tragweite der Probleme eines angewandten Physiozentrismus, der die Rechte von Menschen, Pflanzen, Tieren und unbelebter Natur auf eine Stufe stellt.
Tiere, Pflanzen und die unbelebte Natur verfügen nicht über die Fähigkeit von Menschen, direkte und indirekte Folgen ihres Handelns auf die Rechte anderer erkennen zu können und ihr eigenes Handeln ethisch beurteilen zu können.
Sie demzufolge für die Missachtung von Rechten anderer zu bestrafen, könnte unmöglich gerecht sein.
In Anbetracht der fortschreitenden Umweltzerstörung ist es fraglich, ob mit einer anthropozentrischen Umweltethik die Erde langfristig als Lebensgrundlage der Menschen erhalten werden kann.
Zumindest gilt das für eine anthropozentrische Umweltethik, wie sie bisher umgesetzt wurde und deren Möglichkeiten bei weitem nicht ausgeschöpft wurden.
Eine anthropozentrische Umweltethik im weiteren Sinn könnte erheblich zur Lösung der Umweltkrise beitragen, wenn sie
die Interessen der Entwicklungsländer und Industrieländer gleichstellt (internationale Gerechtigkeit),
die Interessen aktuell und künftig lebender Menschen gleichstellt (intergenerative Gerechtigkeit),
Naturschutz als einen Vorteil für die Menschen begreift,
die Bewahrung der Schöpfung als Verantwortung und Selbstachtung der Menschen begreift.
Aus der Maxime, dass das Ziel der Schöpfung lediglich die Bedürfnisbefriedung von (aktuell lebenden) Menschen ist, leiten sich andere Handlungsanweisungen ab wie aus der Maxime, dass das Ziel der Schöpfung eine möglichst hohe ethische Entwicklung der Menschen ist.
So dürften ethisch hoch entwickelte Menschen auch bei Anwendung einer anthropozentrischen Umweltethik jede Form von Tierquälerei ablehnen.
Tierschutz wäre für sie eine Frage der Selbstachtung, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie ihre Überlegenheit gegenüber schwächeren Lebewesen nicht ausspielen.
Denn Tiere sind im Vergleich zu Menschen schwach, weil sie gegen die Waffen und technischen Möglichkeiten der Menschen wehrlos sind. Schon allein deshalb sollte man Tiere nicht quälen.
Ebenso könnte die Verantwortung für die Natur als eine ethische Pflicht der Menschen sich selbst gegenüber oder in religiöser Hinsicht auch als eine Pflicht gegenüber Gott betrachtet werden.
Angesichts der Umsetzungsprobleme, mit denen alle Umweltethiken jenseits der anthropozentrischen behaftet sind, scheint eine anthropozentrische Umweltethik i. w. S. der erfolgversprechendste Ansatz zu sein, um weitreichende Maßnahmen zum Tierschutz und Naturschutz überzeugend zu begründen.
Denn ob die Umweltkrise wirklich dadurch behoben werden kann, indem zum Beispiel der Natur Eigenrechte zugestanden werden, ist fraglich.
Werden die Menschen auf eine Ebene mit Tieren, Pflanzen und der Natur gestellt, dann wird es umso schwieriger, eine besondere Verantwortung des Menschen für alles Nichtmenschliche zu begründen.
Ein ethischer Appell an uneigennützige Motive könnte der Lösung der Umweltkrise sogar schaden.
Denn je weniger den Menschen ein überlegener Rang eingeräumt wird, umso weniger kann man von ihnen fordern, dass sie sich gegenüber Nichtartgenossen (Tiere, Pflanzen) sittlich verhalten.[1]
Genau diese Entwicklung findet von der anthropozentrischen zur holistischen Umweltethik statt. Dem Tierschutz und Naturschutz sollten deshalb nicht allzu idealistische Züge verliehen werden.
Eine Ethik, die das Eigeninteresse und den Erhalt der eigenen Lebensgrundlage in den Vordergrund stellt, dürfte vermutlich größere Zustimmung finden als eine Ethik, die in so großem Maße Verzicht fordert, dass sie nur schwer lebbar ist oder ständig ein schlechtes Gewissen verursacht.
Lassen sich Menschen mehrheitlich dazu motivieren, eigenständige Rechte der Natur anzuerkennen, die sie in ihren eigenen Rechten einschränken und sogar einer Selbstentmündigung gleichkommen?
Maßgeblich ist die durch die Menschen hervorgebrachte Umweltkrise darauf zurückzuführen, dass die
Rechte aller Menschen – also auch in den armen Ländern der Dritten Welt,
Rechte zukünftiger Generationen auf Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren und
Bedeutung einer gesunden Natur für die Menschen ohne Giftstoffe und Müllberge
nicht ausreichend in der Vergangenheit berücksichtigt wurden.
In Anbetracht dessen, dass in der Umweltkrise die Zeit drängt, ergibt sich folgendes Fazit:
Zur Verbesserung des globalen Tierschutzes und Naturschutzes erscheint eine anthropozentrische Umweltethik i. w. S. zielführender als eine pathozentrische, biozentrische oder holistische Umweltethik.
Es gibt zahlreiche Beispiele und Situationen, in denen menschliche Entscheidungen und Handlungen nicht eindeutig bestimmten umweltethischen Motiven zugeordnet werden können.
Hinter einer Handlung können verschiedene umweltethische Motive stehen, was nach außen hin nicht immer auf Anhieb erkennbar sein muss.
Ganz gemäß der Weisheit „Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe“ gilt auch:
Wenn zwei das Gleiche tun, muss das bekanntlich noch lange nicht aus demselben Grund geschehen. Das soll anhand der folgenden Beispiele verdeutlicht werden.
Bei einer Protest-Bewegung gegen einen geplanten Autobahnbau können Menschen mit verschiedenen umweltethischen Beweggründen aufeinandertreffen:
Das Anliegen anthropozentrisch motivierter Autobahngegner könnte zum Beispiel die Lärm- und Abgasbelastung von Anwohnern sein.
Soll die neue Autobahn durch ein bisher abgelegenes Waldstück verlaufen, könnte das Anliegen pathozentrisch motivierter Autobahngegner die Wahrung der Rechte von leidensfähigen Tieren des Waldes sein, die durch den Autobahnbau ihre natürliche Lebensgrundlage verlieren.
Das Anliegen biozentrisch motivierter Autobahngegner könnte die Wahrung der Rechte aller Lebewesen sein, die direkt oder indirekt durch den Autobahnbau betroffen sind.
Und das Anliegen holistisch (ökozentrisch) motivierter Autobahngegner könnte die Verhinderung von Eingriffen in das Landschaftsbild und das Öko-System sein, die der Autobahnbau mit sich bringt.
Foto: Autobahn-Zubringer *
Die ökologische (biologische) Landwirtschaft ist eine Alternative zur konventionellen Landwirtschaft unter Berücksichtigung von Erkenntnissen der Ökologie und des Umweltschutzes.
Ausgehend davon, dass jede Form von Landwirtschaft einen Eingriff in die Natur bedeutet, ist das Ziel die Herstellung von Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Erzeugnissen mit möglichst natürlichen Produktionsmethoden und größtmöglichem Umweltschutz.
Verzichtet wird nach dieser Definition beim Anbau von Kräutern, Obst und Gemüse auf synthetische Pflanzenschutzmittel, Wachstumsförderer, Düngemittel, Lebensmittelbestrahlung und Gentechnik.
Die Einhaltung der Anbauvorschriften im ökologischen (biologischen) Landbau erfolgt durch Anbauverbände und durch staatlich beauftragte private Unternehmen und Organisationen.
Eine biologische (ökologische) Landwirtschaft kann aus verschiedenen Gründen betrieben werden:
Deutsches Bio-Siegel
Aus Sicht einer anthropozentrischen Umweltethik könnte die Motivation die Produktion von gesünderer Nahrung für Menschen sein.
Aus pathozentrischer Sicht könnte die Motivation der Schutz aller leidensfähigen Tiere sein, die auf einem landwirtschaftlichen Feld leben.
Zum Beispiel könnte von einer Gefährdung des Lebens von Kaninchen oder Maulwürfen in ihren Bauten ausgegangen werden, die direkt oder indirekt mit „Unkraut“-Bekämpfungsmitteln in Berührung kommen.
Die biozentrische Motivation für eine ökologische Landwirtschaft könnte der Schutz von Kleinstlebewesen vor Pestiziden (Fungizide, Herbizide, Insektizide) sein sowie das Existenzrecht von sog. „Unkräutern“.
Aus Sicht einer holistischen Umweltethik könnte die Motivation für eine biologische Landwirtschaft das Recht der
betroffenen Landschaft auf Urwüchsigkeit sowie tierische und pflanzliche Artenvielfalt sein.
Foto: Feld zum Zwiebel-Anbau in der biologischen (ökologischen) Landwirtschaft *
Die Verschmutzung der Meere und Meeresküsten mit Plastikmüll hat riesige Ausmaße angenommen.
So ergaben 3.070 weltweit entnommene Wasserproben der Malaspina Expedition von Dezember 2010 bis Juli 2011 zur Erforschung der Ozeane, dass 88 % der Meeresoberfläche Plastikteile enthielten.[2]
Dabei handelte es sich überwiegend um Mikroplastik-Teile mit einem Durchmesser von weniger als 1 cm, die – wie sich zeigte – Fische, Vögel oder Säugetiere wie Delfine und Wale aufnehmen.[3]
Weltweit sammelt sich der Plastikmüll in den fünf größten Meeresstrudeln: dem indischen, dem nordpazifischen, dem nordatlantischen, dem südpazifischen und dem südatlantischen Müllstrudel.[4]
Der größte von ihnen ist der nordpazifische Müllstrudel, der unter dem Namen „Great Pacific Garbage Patch (GPGP)“ bekannt geworden ist und mindestens 79.000 Tonnen Plastik enthalten soll:
Dieser befindet sich zwischen Hawaii und der Küste von Kalifornien und war im Jahr 2015/2016 mit einer Fläche von 1,6 Millionen Quadratkilometern bereits 4,5-mal so groß wie die Fläche der BRD.[5]
Ähnlich hohe Konzentrationen von Plastikmüll wie in den fünf ozeanischen Müllstrudeln befinden sich auch im Mittelmeer, das wie andere europäische Meere immer mehr zur Plastikhalde Europas wird.[6]
Dabei ist nicht geklärt, wie viel Plastikmüll gesunken ist und sich auf dem Boden der Meere befindet. Ein Schutz der Meere kann aus verschiedenen umweltethischen Beweggründen betrieben werden:
Nachdem zahlreiche Meerestierarten als menschliche Nahrungsgrundlage dienen, könnte deren Vergiftung mit Plastik anthropozentrisch motivierte Meeresschützer auf den Plan rufen.
Pathozentrisch betrachtet könnte ein Schutz der Meere vor Plastikmüll auch alle leidensfähigen Meerestiere und Vögel schützen, die qualvoll verenden, weil sie Plastik aufnehmen oder sich im Plastikmüll verfangen.
Biozentrisch betrachtet wären die Interessen aller Lebewesen schützenswert, die direkt oder indirekt vom Plastikmüll im Wasser und an den Küsten betroffen sind.
Hierzu zählen beispielsweise der Erhalt von Korallenriffen, die Artenvielfalt oder die Funktion von Weltmeeren zur Sauerstoffproduktion auf der Erde.
Und aus der Sicht der holistischen Umweltethik könnte die Motivation für einen Schutz der Meere und Küsten vor Plastikmüll die
Bewahrung der jeweiligen Ökosysteme an sich sein.
Foto: Plastikmüll an einem Strand von Safaga am Roten Meer (Ägypten)
Weitere Beispiele für Proteste gegen menschliche Entscheidungen, die nicht eindeutig bestimmten umweltethischen Motiven zugeordnet werden können, wären die Nutzung der Atomkraft oder Windkraft.
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Literaturangaben:
[1] Höffe, Otfried (1992), Lexikon der Ethik, 4. Auflage, Verlag C.H. Beck, München, S.14.
[2] Cozar, A.; Echevarría, F.; Gonzaĺez-Gordillo, J.I. et al. (2014): Plastic debris in the open ocean, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, Vol. 111, No. 28, S.10239/10240.
[3] Ebenda, S.10239.
[4] Plastikatlas 2019 - Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff (2021), Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung und Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), 6. Auflage, ISBN 978-3-86928-200-8, S.28.
[5] Vgl. Studie in der Fachzeitschrift Scientific Reports: Lebreton, L., Slat, B., Ferrari, F. et al. Evidence that the Great Pacific Garbage Patch is rapidly accumulating plastic, Sci Rep 8, 4666 (2018), https://doi.org/10.1038/s41598-018-22939-w, S.1/2.
[6] Plastikatlas 2019 - Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff (2021), Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung und Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), 6. Auflage, ISBN 978-3-86928-200-8, S.28.
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