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Anthropozentrische Umweltethik (Anthropozentrismus, Anthropozentrik)

Was ist eine anthropozentrische Umweltethik? Welche Probleme ergeben sich beim anthropozentrischen Weltbild? Was ist der Unterschied zwischen Anthropozentrismus und Pathozentrismus?


INHALT

  1. Definition und Erklärung

  2. Argumente von Befürwortern und Gegnern

  3. Was ist das Gegenteil von anthropozentrisch?

  4. Beispiele für Probleme der praktischen Anwendung

  5. Ethisches Verbot von Tierquälerei nach Immanuel Kant

  6. Fehlende Generationengerechtigkeit

  7. Erweiterung um intergenerative Gerechtigkeit nach John Rawls

  8. Resümee mit Unterteilung und Arten

Definition und Erklärung

Nach dem anthropozentrischen Weltbild (von griechisch anthropos = Mensch und lateinisch centrum = Mittelpunkt) besitzen Tiere, Pflanzen und die unbelebte Materie keinen eigenständigen Wert und existieren nur, um den Menschen zu dienen.[1]

Ihren Ursprung hat die anthropozentrische Umweltethik in der Antike bei den beiden griechischen Philosophen Protagoras (490 v. Chr. - 411 v. Chr.) und Aristoteles (384 v. Chr. - 322 v. Chr.).

Büste von Aristoteles
 Büste von Aristoteles

Auf Protagoras zurückgehend, sind die Menschen das Maß aller Dinge, sie sind das Zentrum und Ziel der Schöpfung, alles dient ihren Zwecken, alles ist nur Mittel für sie.[2]

Aristoteles hat diesen Standpunkt konkretisiert. Ihm zufolge existieren Pflanzen, um Menschen und Tieren zu dienen, während Tiere ausschließlich den Menschen zu dienen:

Haustiere ernähren die Menschen und leisten ihnen Dienste, und die meisten Wildtiere dienen den Menschen als Nahrung und zur Herstellung von Kleidung und Werkzeugen.[3]

Nach dem anthropozentrischen Weltbild dient die gesamte unbelebte Natur und die gesamte nichtmenschlich belebte Natur den Menschen zu ihren Zwecken.

Sei es als Lebensgrundlage in Form von Luft, Wasser, Nahrungsmitteln und Rohstoffen. Sei es als Quelle für Erholung und Freizeit. Oder zur Schadstoffaufnahme und Schadstoffreinigung.

Jede Veränderung und Ausbeutung der Natur, die den Menschen dient, ist ethisch gerechtfertigt; bereits die bloße Zugehörigkeit zur Spezies „Mensch“ wird mit einem exklusiven Status verbunden.[4]

Der Mensch hat eine indirekte Verpflichtung gegenüber nichtmenschlichen Lebewesen und der unbelebten Natur. Eine Pflicht sie zu schützen, besteht nur, wenn sich ansonsten ein Nutzenverlust für die Menschen ergibt.

Im anthropozentrischen Weltbild können sich ethische Fragen nur im Verhältnis von Mensch zu Mensch stellen.

Argumente von Vertretern und Gegnern

Vertreter des anthropozentrischen Ansatzes argumentieren, dass sich die Menschen im oft grausamen Überlebenskampf der Arten im Einklang mit der Natur verhalten würden, wenn sie mit Hilfe ihrer besonderen Fähigkeiten andere Arten verdrängen würden.[5]

Nach diesem Weltbild sprechen folglich keine Argumente dagegen, wenn Naturschutz nur der Menschen wegen betrieben wird.

Gegner des anthropozentrischen Ansatzes argumentieren, dass die Menschen im Unterschied zu weniger entwickelten Lebewesen


Das Lexikon der Umweltethik fasst die Kritik am Anthropozentrismus wie folgt zusammen:


„Hintergrund dieses Welt- und Menschenbildes ist eine den historischen Humanismus missverstehende und den Menschen maßlos überschätzende Sichtweise, nach der die Natur zur bloßen Umwelt des Menschen wird.“

(Gotthard Martin Teutsch, 1918–2009, deutscher Philosoph, Tierethiker, Soziologe und Hochschullehrer) [7]

Was ist das Gegenteil von anthropozentrisch?

Das Gegenteil zur anthropozentrischen Umweltethik ist die holistische (ökozentrische) Umweltethik. Erst bei diesem Ansatz findet eine vollständige Durchbrechung der Sonderstellung der Menschen statt:

In der holistischen (ökozentrischen) Umweltethik werden sowohl der unbelebten Natur als auch allen Lebewesen, wie Algen, Archaeen, Bakterien, Pflanzen, Pilzen und Tieren, eigene Rechte zugesprochen.

Im Unterschied dazu haben bei der biozentrischen Umweltethik nur alle Lebewesen und bei der pathozentrischen Umweltethik nur alle leidensfähigen Lebewesen eigenständige Rechte.

Daher stellen Biozentrismus und Pathozentrismus noch nicht das Gegenteil zum Anthropozentrismus dar. Erst der ganzheitliche Ansatz des Holismus (Ökozentrismus) räumt der Natur eigenständige Rechte ein.

Beispiele für Probleme der praktischen Anwendung

Bei der praktischen Anwendung einer anthropozentrischen Umweltethik können sich verschiedene Probleme ergeben, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen.

Begrenzte Erkenntnisfähigkeit des Menschen

Um zu beurteilen, welche Bestandteile der Natur ihnen von Nutzen sind, müssten die Menschen alle Wirkungszusammenhänge in der Natur verstehen können und somit über eine unbegrenzte Erkenntnisfähigkeit verfügen.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Menschheit mit ihrem heutigem Wissensstand mit Sicherheit feststellen kann, welche Pflanzen- und Tierarten sie für ihr Überleben benötigt und auf welche sie verzichten kann.

Bislang wurden etwa 1,8 Millionen Arten von Pflanzen, Pilzen und Tieren erforscht, wobei Schätzungen davon ausgehen, dass auf der Erde etwa 8,7 Millionen Arten leben.[8]

Dabei wird die größte Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren auf der Erde im tropischen Regenwald vermutet.[9]


Luftaufnahme vom Regenwald in Brasilien am Amazonas in der Nähe der Stadt Barcelos
Foto: Regenwald in Brasilien am Amazonas in der Nähe der Stadt Barcelos


Es lässt sich gegenwärtig nicht bestimmen, wie groß aus anthropozentrischer Sicht der Verlust wäre, wenn durch das Abholzen der tropischen Regenwälder ein Großteil der dort lebenden Tier- und Pflanzenarten ausstirbt, bevor deren Bedeutung für die Menschheit erforscht wurde.

Und selbst wenn heute bestimmte Tier- und Pflanzenarten als „erforscht“ gelten, können Forschungsergebnisse immer nur ein Spiegelbild der gegenwärtig zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden sein.

Sollten eines Tages neue und genauere Untersuchungsmethoden zur Verfügung stehen, dann könnte das den Verlust bestimmter Tier- und Pflanzenarten für die Menschheit in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Um den Wert bestimmter Pflanzenarten und Tierarten für die Menschheit bestimmen zu können, müsste außerdem bekannt sein, wie alle Pflanzenarten und Tierarten miteinander zusammenhängen.

Für Menschen vermeintlich unwichtige Pflanzenarten müssen trotzdem geschützt werden, wenn sie die Nahrungsgrundlage von Tieren sind, die für Menschen wichtig sind.

Allerdings sind die Zusammenhänge in der Natur oft komplizierter und nicht immer so leicht überschaubar.

Wie viele derartiger Zusammenhänge zwischen Pflanzen und Tieren wären zu berücksichtigen, um der Komplexität der Natur gerecht zu werden? Und reicht die menschliche Erkenntnisfähigkeit dafür aus?

Ohnehin nimmt die Menschheit laufend eine unnatürliche Selektion von Pflanzen in der Natur vor:


Gerade in der Gartengestaltung gelten bestimmte Pflanzen aus unterschiedlichsten Gründen als „Unkraut“ und werden mit chemischen Pflanzenvernichtungsmitteln bekämpft.

Als Folge dieser willkürlichen Einstufung von Pflanzen als „Unkraut“ sind Ackerrittersporn, Frauenspiegel, Leinrade, Kornblume oder Eiblättriges Tännelkraut nur noch selten anzutreffen und vom Aussterben bedroht.

Dabei sind viele „Unkräuter“ nützliche Heilpflanzen oder wohlschmeckende Küchenkräuter, deren Eigenschaften und möglicher Nutzen der Menschheit noch nicht vollständig bekannt sind.

Ein anthropozentrisches Weltbild, nach dem die Menschen laufend Pflanzen und Tiere bekämpfen, die für sie vermeintlich keinen Nutzen haben, kann also bedrohlich für die Artenvielfalt sein.

Und sollte sich erst im Nachhinein, wenn die bekämpften Tier- und Pflanzenarten untergegangen sind, herausstellen, dass sie wertvoll für die Menschheit waren, kann ein anthropozentrisches Weltbild auch bedrohlich für die Lebensgrundlage künftiger Generationen sein.

Unklarer geografischer Geltungsbereich

Unklar in der eingangs vorgestellten Definition ist die Frage, wer geografisch die Adressaten einer anthropozentrischen Umweltethik sind.

Sind nur die Menschen in den Industrieländern oder sind alle Menschen auf der Erde „das Maß aller Dinge“?

Das Wohlstandsgefälle zwischen nördlicher und südlicher Erdhalbkugel deutet stark darauf hin, dass weltweit keine anthropozentrische Umweltethik zur Anwendung kommt.

Denn den reichen Norden kümmert die Armut des Südens relativ wenig. Selbst extreme Wohlstandsgefälle in Dritte-Welt-Ländern hindern international agierende Unternehmen nicht daran, dort Geschäfte zu tätigen, die im Ergebnis nur einem Bruchteil der dortigen Bevölkerung zugutekommen.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation zählen über eine Million Kinder in Brasilien, die von großer Armut betroffen sind, zu den Kleinwüchsigen, die später zu sog. „Homem Gabirus“ werden.[10]

Andere Ausdrücke für „Homem Gabirus“ sind „Rattenmenschen“ oder „Garbage People“. Gemeint sind Menschen, die auf den Müllkippen der wuchernden Großstadt-Metropolen nach Essbarem wühlen.

Fraglich ist auch, ob folgende Beispiele mit einer weltweiten Anthropozentrik zu vereinbaren sind:


Wie sich zeigt, kommt keine anthropozentrische Umweltethik zur Anwendung, wenn es um die Frage geht, ob alle Menschen auf der Welt oder nur die Menschen in den reichen Industrieländern das Maß aller Dinge sind.

Unklarer zeitlicher Geltungsbereich

Unklar in der eingangs vorgestellten Definition ist die Frage, auf welchen Zeitraum sich ein anthropozentrischer Ansatz beziehen soll.

Sollen Protagoras folgend nur heute lebende oder auch künftig lebende Menschen das Maß aller Dinge sein? Weiterhin ist die Welt von einer Wirtschaftsweise und Lebensweise der Menschen geprägt, die sich durch eine


kennzeichnen lässt.

Die heute lebenden Menschen vertreten kaum die Interessen nachfolgender Generationen und gefährden oder zerstören die Natur auf deren Kosten.

Allerdings müsste bei einer konsequent angewendeten anthropozentrischen Umweltethik das Handeln der Menschen auch von dem geleitet sein, was in der fernen Zukunft ihrer Nachkommen liegt.

Vermutlich liegt das Problem darin, dass die Bedürfnisse künftiger Generationen nicht greifbar sind. Oder einfach ausgedrückt: Das Wohl der Urenkel liegt in zu weiter Ferne.

Bedenkt man, dass sich Eltern normalerweise instinktiv um das Wohl ihrer Kinder sorgen, könnte es umso mehr erstaunen, dass seit Generationen eine langfristig wirkende und zum Teil nicht umkehrbare Zerstörung der Natur zu beobachten ist, die das Wohl kommender Generationen unberücksichtigt lässt.

Dabei könnte auch folgendes egoistisches Kalkül eine Rolle spielen: Weil die eigenen Ururenkel eher selten erlebt werden, ist es den heute lebenden Menschen vielleicht „egal“, wie die durch sie verursachten Umweltprobleme von der Generation der Ururenkel eines Tages gelöst werden können.

Der unklare zeitliche Geltungsbereich der anthropozentrischen Umweltethik zeigt sich zum Beispiel bei der Abholzung tropischer Regenwälder, der Verschmutzung der Weltmeere und der Nutzung der Atomkraft.

1) Abholzung der Tropenwälder

Bei der Abholzung der tropischen Regenwälder offenbart sich ethisch die Frage, welcher Stellenwert der medizinischen Versorgung kommender Generationen beizumessen ist:

In den Tropenwäldern befindet sich der größte Vorrat an genetischen Informationen auf der Erde. Schon heute werden viele hundert wichtige Medikamente aus Pflanzen und Tieren des tropischen Regenwaldes gewonnen, die ausschließlich dort vorkommen.[11]

So soll zum Beispiel der US-amerikanische Präsident Ronald Reagan, nachdem ihn die Kugel eines Attentäters getroffen hatte, sein Überleben u. a. einem Blutdruck stabilisierenden Medikament verdankt haben, das von einer Buschviper aus dem Regenwald-Gebiet des Amazonas stammte.[12]

Mit einer anthropozentrischen Umweltethik, die Interessen künftiger Generationen berücksichtigt, ist die Abholzung der Tropenwälder somit nicht vereinbar (vgl. » Abholzung tropischer Regenwälder).

2) Verschmutzung der Ozeane

Bei der Verschmutzung der Ozeane offenbart sich ethisch die Frage, welcher Stellenwert der Versorgung aktuell und künftig lebender Menschen mit Nahrungsmitteln und Sauerstoff beizumessen ist:

Die dramatisch zunehmende Menge von Plastikmüll in den Ozeanen führt dazu, dass über die Hochseefischerei zunehmend giftiges Nanoplastik und Mikroplastik in die menschliche Nahrungskette gelangen können.

Ferner wird Meerespflanzen zunehmend durch herabsinkenden Plastikmüll das Licht für die Photosynthese genommen. Das verschlechtert zunehmend den Beitrag der Ozeane zur Sauerstoff-Produktion auf der Erde.

Mit einer anthropozentrischen Umweltethik, die Interessen künftiger Generationen berücksichtigt, ist die Verschmutzung der Ozeane somit nicht vereinbar (vgl. » Verschmutzung der Weltmeere mit Plastik).

Erwähnenswert im Zusammenhang mit den Ozeanen ist, dass ihre Verschmutzung nicht nur für künftige Generationen, sondern auch für die aktuell lebende Menschheit eine Bedrohung darstellt.

Neben dem bereits erwähnten Plastikproblem sind zu nennen Arzneimittel, organische Chemikalien (POPs), Öl, Radioaktivität und giftige Schwermetalle, insbesondere Blei, Cadmium und Quecksilber.

Diese Stoffe belasten alle Meeresbewohner und gelangen über die Hochseefischerei in die Nahrungskette.

Das kann, wenn sich diese Entwicklung nicht stoppen lässt, dazu führen, dass die Ozeane als Nahrungsgrundlage für Milliarden Menschen wegfallen – sollten Fische so kontaminiert sein, dass sie nicht mehr essbar sind.


Mit Plastik-Müll verschmutzte Küste in der Provinz Bataan auf Luzon, der größten Insel der Philippinen im Pazifischen Ozean
Foto: Mit Plastik-Müll verschmutzte Küste in der Provinz Bataan auf Luzon, der größten Insel der Philippinen im Pazifischen Ozean

3) Nutzung der Atomtechnologie

Bei der Nutzung der Atomtechnologie offenbart sich ethisch die Frage, welcher Stellenwert dem Erhalt einer nicht durch Menschen radioaktiv belasteten Natur für künftige Generationen beizumessen ist:

Erst die Nutzung der Atomtechnologie ermöglicht die Herstellung von Atomwaffen und erst die Nutzung der Atomtechnologie schafft das Risikopotential gewaltsamer Angriffe auf Atomreaktoren.

So sollte allein die Existenz und das Ausmaß möglicher Risiken für einen Nutzungsverzicht ausreichen.

Das gilt selbst dann, wenn die Sicherheitsvorkehrungen noch so gut statistisch „abgesichert“ sind. Denn radioaktiver Atommüll wird bekanntlich noch tausende Jahre lang strahlen.

Diese Problematik konnten auch die neuesten Generationen von Atomreaktoren bislang nicht lösen.

Kann bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle wirklich Sicherheit garantiert werden für alle in der Zukunft lebenden Menschen im Sinne einer anthropozentrischen Umweltethik?

Und selbst wenn das der Fall wäre: Vielleicht wünschen sich zukünftige Generationen eine Welt, in der sie keine Sicherheitsmaßnahmen zur Endlagerung von strahlendem Atommüll treffen müssen?

Aus ethischer Sicht sollte nicht vergessen werden, dass die Möglichkeit der Güterabwägung bei der Nutzung der Atomtechnologie immer die Gunst der Menschen ist, die früher geboren wurden.

Mit einer anthropozentrischen Umweltethik, die Interessen künftiger Generationen berücksichtigt, ist die Nutzung der Atomtechnologie somit nicht vereinbar.

Wie kann eine Sonderstellung des Menschen begründet werden?

Wenn in der anthropozentrischen Umweltethik den Menschen gegenüber den Tieren eine Sonderstellung eingeräumt wird wegen ihrer besonderen Fähigkeiten wie Sprache, Verstand und Vernunft, so stellt sich die Frage, ob dabei tatsächliche oder potentielle Fähigkeiten gemeint sein sollen.

Bekanntlich sind ausgewachsene, höher entwickelte Säugetiere wie Wale, Affen oder Delfine zum Beispiel neugeborenen Menschen (Babys) in Empfindungsfähigkeit und Bewusstsein überlegen.

Spezielle menschliche Fähigkeiten wie Denkvermögen und Sprachvermögen bilden sich erst später im Laufe der Jahre mit der Entwicklung des menschlichen Gehirns heraus.

Außerdem verfügen auch einige Tierarten über ein durchaus komplexes Sprachvermögen:

So können ausgewachsene Schimpansen hunderte verschiedene Gesten der Zeichensprache erlernen oder mittels abstrakter bunter Symbole kommunizieren.[13][14]

Ferner wurden schon Wellensittiche, Papageien, Tauben, Affen und Collies wissenschaftlich untersucht, die sich hunderte Worte oder Symbole merken und sie auch Gegenständen zuordnen konnten.[15]

Des Weiteren lassen sich Tierarten beobachten, die dazu fähig sind, ihnen gestellte Aufgaben zu lösen, Werkzeuge zu benutzen oder mit anderen Tieren zusammenzuarbeiten und von ihnen zu lernen:

Hierzu zählen nicht nur gemeinhin „schlaue Tiere“ wie Delfine, Elefanten, Hunde, Katzen, Krähen, Menschenaffen oder Raben, sondern auch Tiere, denen man diese Denkleistung zunächst nicht zutrauen würde wie Kraken, Krokodile, Schildkröten, Tauben oder Waschbären.[16]

Natürlich können Tiere keine Opern komponieren, Maschinen konstruieren oder Bücher schreiben. Allerdings verfügen auch bei Weitem nicht alle Menschen über die dazu notwendigen Fähigkeiten.

Zur Beantwortung der Frage, ob Menschen wegen ihres Ich-Bewusstseins eine Sonderstellung gegenüber Tieren zukommt, können Forschungsergebnisse der Verhaltensbiologie herangezogen werden.

Dort gibt es den sog. Spiegeltest, bei dem Tiere zum Beispiel mit einem Farbfleck auf dem Kopf versehen werden, den sie nur erkennen können, wenn sie ihr Spiegelbild betrachten.[17]

Der Spiegeltest gilt als nicht bestanden, wenn die Tiere sich nicht selbst im Spiegel erkennen können.

Das kann sich dadurch äußern, dass sie auf ihr Spiegelbild wie auf ein anderes Lebewesen reagieren, mit Begrüßungsgesten, Drohgesten und Warnlauten oder dass sie ihr Spiegelbild ignorieren.

Dagegen gilt der Spiegeltest als bestanden, wenn die Tiere sich selbst im Spiegel erkennen und den Farbfleck auf ihrem Kopf bemerken.

Ein solches Selbstbewusstsein durch das Erkennen von sich selbst können Tiere dadurch zum Ausdruck bringen, indem sie auf den Farbfleck auf ihrem Körper deuten oder versuchen, diesen wegzuwischen.

Im Rückschluss müssen also Tiere, die den Spiegeltest bestehen,


Den Spiegeltest können zum Beispiel Delfine und Wale, Putzerlippfische, Elefanten, Vögel wie Elstern, Papageien und Raben oder Menschenaffen wie Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen bestehen.[17]

Die Durchführung des Spiegeltests bei Menschen hat ergeben, dass dieser von Kleinkindern mehrheitlich ab einem Alter von 24 Monaten bestanden wird.[18]

Allerdings ist unklar, ob Tiere, die den Spiegeltest bestehen, reflektiert denken und handeln können. Bestehen verschiedene Tierarten den Spiegeltest, bleibt unklar, warum sie jeweils den Farbfleck entfernen:

Entfernen sie beispielsweise den Farbfleck, weil sie diesen für einen Parasiten halten oder weil sie von sich selbst eine genaue Vorstellung haben, wie sie normalerweise aussehen?

Ebenso stellt sich die Frage, ob Tieren keine eigenständigen Rechte zuzusprechen sind, wenn sie den Spiegeltest nicht bestehen und bei ihnen deshalb ein fehlendes Ich-Bewusstsein vermutet wird.

Gegen diese Schlussfolgerung spricht die sog. Cambridge-Erklärung (englisch: Cambridge Declaration on Consciousness) von Forschern aus der Neuroanatomie, Neuropharmakologie und Neurophysiologie.

Sie wurde anlässlich einer Konferenz der Cambridge Universität verkündet, die 2012 zum Thema „Bewusstsein bei menschlichen und nicht menschlichen Tieren“ stattfand. Die Erklärung kam zu folgendem Ergebnis:

Es besteht kein Grund zur Annahme, dass Organismen ohne Neokortex keine affektiven Zustände erfahren können. Übereinstimmende Beweise deuten darauf hin, dass nicht menschliche Tiere über die neuroanatomischen, neurochemischen und neurophysiologischen Substrate des Bewusstseins sowie die Fähigkeit zu intentionalem Verhalten verfügen. Daraus folgt, dass neuronale Substrate und das durch sie erzeugte Bewusstsein keine Alleinstellungsmerkmale des Menschen sind. Nicht menschliche Tiere, darunter Säugetiere, Vögel und viele weitere Lebewesen, wie beispielsweise Oktopusse, verfügen ebenso über neuronale Substrate.[19]

Bleibt die Frage, ob allein aufgrund potentieller Fähigkeiten anthropozentrisch eine Sonderstellung von Babys und Kindern begründet werden kann, bei denen diese Fähigkeiten noch nicht entwickelt sind.

Falls ja, wie können gegenüber Tieren Sonderrechte für Menschen begründet werden, die unter erheblichen psychischen und physischen Einschränkungen leiden oder sich in einem dauerhaften Koma befinden?

Das Fehlen von Sprache und Verstand als anthropozentrisches Argument kann deshalb nur ein schwaches Kriterium für die Beurteilung der Rechte von nicht menschlichen Lebewesen darstellen.

Wie die zuvor genannten neueren Forschungsergebnisse zeigen, können nicht nur Menschen über Selbstbewusstsein, Sprachfähigkeit und Intelligenz verfügen, sondern auch Tiere.

Aufgrund dieser Fähigkeiten lässt sich eine Sonderstellung von Menschen gegenüber Tieren nur vom Umfang her und nicht absolut begründen.

Umso mehr stellt sich die Frage, ob nur Tiere das Recht auf Leben und eigenständige Rechte haben sollen, die über mit Menschen vergleichbare Fähigkeiten verfügen.

Denn würde man die Fähigkeiten von Menschen zum Maßstab dafür machen, welchen Lebewesen Rechte zukommen sollen, würde man vernachlässigen, dass viele Tierarten über Fähigkeiten und Sinne verfügen, die denen von Menschen weit überlegen sind.

Das kommt in Redewendungen zum Ausdruck wie „Adleraugen haben“, „ein Gedächtnis wie ein Elefant haben“, „flink wie ein Wiesel sein“ oder „Augen und Ohren haben wie ein Luchs“.

Ferner verfügen Hunde über einen sehr feinen Gehörsinn, Geruchssinn und Orientierungssinn. Oder Katzen haben herausragende Fähigkeiten zu kriechen, zu springen, zu fallen, zu riechen, zu klettern, zu hören, zu sehen oder sich anzuschleichen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Dient der Artenschutz primär menschlichen Interessen?

Noch ist die Frage unbeantwortet, ob Artenschutz den tierischen und pflanzlichen Interessen dienen soll oder in Wirklichkeit ein Beispiel für die praktische Umsetzung einer anthropozentrischen Umweltethik ist.

Halten Menschen vom Aussterben bedrohte Tiere in Zoos, dient das nicht nur den Tierarten, weil sie als Art erhalten bleiben, sondern auch der Freude aktueller und künftiger Menschen an „exotischen“ Tieren.

Doch selbst wenn aus menschlicher Sicht die Bedingungen für die Tiere in einem Zoo noch so „gut“ sind:

Ginge es um die Interessen der Tiere, dann müsste für sie ein natürlicher Lebensraum jenseits aller Gitterstäbe erhalten werden, in dem die bedrohten Tiere ein artgerechtes Leben führen können.

Und ginge es um den Erhalt aller vom Aussterben bedrohter Tiere, dann müssten auch alle vor dem Aussterben bedrohten Tiere in Zoos zu finden sein, was bei Weitem nicht der Fall ist.

So ergab zum Beispiel der EU-Zoo-Report 2011, dass in 25 zufällig ausgewählten Zoos in der Bundesrepublik Deutschland von den dortigen Tierarten nur etwa 8 % gefährdet, 5 % stark gefährdet und 2 % vom Aussterben bedroht waren (gemäß der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN).[20]

Angesichts dessen scheint es eher so zu sein, dass die Menschen eine willkürliche Auswahl von „schützenswerten Tieren“ vornehmen. Der Betrieb von Zoos ist also überwiegend anthropozentrisch geprägt.

Auch in den folgenden beiden Beispielen des Artenschutzes dürfte eine anthropozentrische Umweltethik zugrunde liegen, die den Interessen und dem Selbstschutz der Menschen dient:


Dahinter steht die Erkenntnis, dass mit jeder aussterbenden Art auch genetische Substanz verloren geht, die im Laufe der künftigen Evolution einmal lebenswichtig für die Menschheit sein könnte. Allerdings:

In der Landwirtschaft setzt sich heute die Praxis der Monokultur einiger weniger Sorten immer mehr durch.

Dadurch werden Ernten anfälliger für Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbefall, während gleichzeitig das genetische Potential, das helfen könnte, solchen Katastrophen zu begegnen, verloren geht.

Schon Anfang der 80er Jahre wies die Studie „Global 2000“ darauf hin, dass die Chance, eine resistente Art zu entdecken, umso besser ist, je mehr wilde Arten verfügbar sind.[21]

Erfolgt Artenschutz aus Gründen wie „Freude an seltenen Tieren“, „Widerstandsfähigkeit von Pflanzen“ oder „Erhalt einer genetischen Reserve“ beschränkt sich der Wert von Tierarten und Pflanzenarten darauf, welchen Nutzen sie für die Menschen haben.

Der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass in der Natur auch ein natürliches Artensterben stattfindet, das nicht durch die Menschen verursacht worden ist.

Es bleibt weiterhin Aufgabe der Biologie und Ökologie, herauszufinden, welches Artensterben aus natürlichen Gründen und aufgrund der Evolution stattfindet oder welches Artensterben menschengemacht ist.

Ethisches Verbot von Tierquälerei nach Immanuel Kant

Obwohl der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) ein Vertreter des Anthropozentrismus war, sprach er sich aus folgendem Grund für ein ethisches Verbot von Tierquälerei aus:

Durch die gewaltsame und zugleich grausame Behandlung von Tieren würde das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abstumpfen und dadurch auch nach und nach das Mitgefühl für andere Menschen.[22]

Die Grausamkeit der Menschen gegenüber Tieren in Form von Tierquälerei stünde somit konträr zur Pflicht der Menschen gegenüber sich selbst, ihrer eigenen Verrohung entgegenzuwirken.

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant
     Immanuel Kant 1791

Nach Kants Verständnis von Anthropozentrismus sollte also auf Tierquälerei nicht verzichtet werden um der Tiere willen bzw. wegen des Leids, das die Tiere ertragen müssen, sondern um der Menschen willen.

Auch in der Dankbarkeit für die geleisteten Dienste eines Pferdes oder eines Hundes sah Immanuel Kant eine direkte Pflicht der Menschen gegenüber sich selbst.[23]

Zwar hat Immanuel Kant keinen empirischen Beweis für den von ihm dargelegten Zusammenhang geliefert, dennoch erscheint dieser naheliegend:

Denn jemand, der dankbar für die Dienste seines alten Wachhundes ist und ihm ein Gnadenbrot gewährt, wird eher jemand sein, der die Dienste seiner Mitmenschen zu schätzen weiß.

Es erscheint wenig einleuchtend, wieso jemand, der Tiere quält, ein besonders feinfühliger Mensch sein sollte.

Ausgehend davon, dass der menschliche Geist durch Grausamkeit gegenüber Tieren verroht, läge ein Verbot von Tierquälerei also im Eigeninteresse der Menschen und wäre anthropozentrisch begründet.

Fehlende Generationengerechtigkeit

Die eingangs vorgestellte Definition einer anthropozentrischen Umweltethik enthält keinen Bezug auf die Frage der Generationengerechtigkeit, also der Gerechtigkeit zwischen den Generationen.

Generationengerechtigkeit oder intergenerative Gerechtigkeit (Enkelgerechtigkeit) beurteilt allgemein, ob menschliche Entscheidungen und Handlungen in einer Generation, die sich auf kommende Generationen auswirken, gerecht sind.

Diesen Gedanken greift auch das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development) auf als eine Entwicklung, welche die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.

Intergenerative Gerechtigkeit bedeutet im umweltethischen Zusammenhang, dass eine Generation der nachfolgenden Generation etwa gleiche natürliche Lebensbedingungen hinterlässt bezogen auf die biologische Vielfalt, die Qualität von Luft, Wasser und Boden oder nicht erneuerbare Ressourcen.

Ob die natürlichen Lebensbedingungen von einer Generation zur nächsten etwa gleich bleiben, kann sich sinnvollerweise nur darauf beziehen, ob ihre Veränderung auf menschliche Eingriffe in die Natur zurückzuführen sind oder nicht auf natürlich ablaufende Vorgänge auf der Erde.

Beispiele für Vorgänge, die Menschen meist nicht beeinflussen können, sind Naturkatastrophen wie Erdbeben, Asteroid-Einschläge, Überschwemmungen, Vulkanausbrüche, Waldbrände und Wirbelstürme oder Wetteranomalien wie Dürre, Hagel, Hitze und Kälte oder die Verschiebung von Kontinenten.

Eine Notwendigkeit, den Ansatz der anthropozentrischen Umweltethik um Generationengerechtigkeit zu erweitern, ergibt sich aus zwei Gründen:

1.

Als Folge der marktwirtschaftlichen und industriellen Revolution, beginnend ab Mitte des 18. Jahrhunderts in England, wurde eine wirtschaftliche und technische Macht nie gekannten Ausmaßes freigesetzt.

Seitdem wird die Natur verschmutzt, verstrahlt, vergiftet und zerstört, dass die gesamte Menschheit Gefahr läuft, sich langfristig ihrer natürlichen Lebensgrundlagen selbst zu entledigen.

2.

Die eingangs vorgestellte Definition einer anthropozentrischen Umweltethik hat historisch ihre Wurzeln in der Antike und stammt somit aus einer Zeit weit vor Beginn der Industriellen Revolution.

Anders als heute war es der Menschheit damals noch nicht möglich, Eingriffe in die Natur in einem Maße vorzunehmen, dass eine Generation der nachfolgenden Generation natürliche Lebensbedingungen hinterlässt, die deren Möglichkeiten stark einschränken oder sogar deren Überleben gefährden.

Warum sich also für antike Philosophen mit einem anthropozentrischen Weltbild wie Protagoras oder Aristoteles nicht die ethische Frage gestellt hat, ob die Interessen künftiger Generationen der Menschheit berücksichtigt werden sollten, erklärt sich dadurch zumindest teilweise.

Teilweise deshalb, weil in der Antike bereits Griechen und Römer durch ihren Schiffsbau ganze Küstenregionen des Mittelmeeres entwaldet und dadurch verödet haben:

Schon der antike griechische Philosoph Platon soll bereits vor den schädlichen Folgen des Abholzens der attischen Berge für die Bodenbestände und Wasserversorgung Athens gewarnt haben.[24]

Erweiterung um intergenerative Gerechtigkeit nach John Rawls

Nachfolgend geht es um die Frage, ob sich der Ansatz der anthropozentrischen Umweltethik mit Hilfe der Gerechtigkeitstheorie des US-amerikanischen Philosophen John Rawls (1921–2002) um eine intergenerative Gerechtigkeit erweitern lässt.

Der US-amerikanische Philosoph John Rawls
 John Rawls 1971

Sein Standardwerk Eine Theorie der Gerechtigkeit (englisch: A Theory of Justice) aus dem Jahre 1971 zählt zu einem der einflussreichsten Klassiker der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts.[25]

Darin stellt John Rawls ideale Bedingungen für eine Abstimmung vor, unter denen freie und vernünftige Menschen gerechte Grundsätze für eine Gesellschaftsordnung beschließen können.[26]

Bei dieser Abstimmung konkurrieren alle Teilnehmer um die gerechte Verteilung von gesellschaftlichen Gütern, die in mäßig knapper Menge vorliegen.[27]

Als Gedankenexperiment schlägt John Rawls vor, dass sich alle Teilnehmer einer Abstimmung bei ihrer Entscheidung gedanklich hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ über sich selbst befinden sollen:

In diesem Urzustand von Gleichheit sind alle Zufälligkeiten beseitigt, die Menschen in ungleiche Situationen bringen (zum Beispiel wo oder wann sie geboren wurden) und sie dazu veranlassen können, mit ihren Entscheidungen gesellschaftliche und natürliche Umstände zu ihrem Vorteil auszunutzen.[27]

Solange alle Teilnehmer der Abstimmung nicht wissen, welche Grundsätze sich günstig auf ihre eigenen Interessen auswirken, müssen sie verschiedene Grundsätze, die zur Auswahl stehen, allein unter allgemeinen Gesichtspunkten beurteilen.[27]

Hinter dem Schleier des Nichtwissens können die Teilnehmer folgende Fragen nicht beantworten:


Würde man den Schleier der Unwissenheit um die Frage „Weiß ich, dass ich Mensch bin?“ erweitern, könnte sich das Gedankenexperiment von John Rawls auch zur Entwicklung von Gerechtigkeitsgrundsätzen eignen, die Interessen von Tieren und Pflanzen mit einschließen.

Dadurch, dass die Teilnehmer einer Abstimmung im Urzustand von Gleichheit nicht wissen, welcher Generation sie angehören, entstehen Fragen der Gerechtigkeit zwischen den Generationen.[28]

Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang die natürliche Umwelt, die biologische Vielfalt und natürliche Hilfsquellen wie nicht erneuerbare Rohstoffe erhalten bleiben sollen.

Weil der Schleier der Unwissenheit die Kenntnisse aller Abstimmungsteilnehmer so umfangreich beschränkt, geht John Rawls davon aus, dass sie Grundsätze wählen müssen, deren Folgen sie immer bereit sind, hinzunehmen, egal welcher Generation sie selbst angehören.[28]

Ein solches Wahlergebnis ist naheliegend, weil die Teilnehmer Entscheidungen unter Unsicherheit treffen müssen, was sie zwingt, sich nicht egoistisch, sondern unparteiisch und neutral zu entscheiden.

Denn alle Teilnehmer müssen damit rechnen, dass sie sich, wenn der „Schleier der Unwissenheit“ nach erfolgter Abstimmung gelüftet wird, in einer im Vergleich zu vorherigen Generationen schlechter gestellten Generation befinden.

Alle Teilnehmer haben somit im Sinne einer Risikovermeidung ein Interesse an Grundsätzen, die den am wenigsten Begünstigten intergenerativ den größtmöglichen Vorteil bringen, also das Minimum maximieren bzw. den Nachteil der ungünstigsten Situation minimieren (Maximin-Prinzip).[29]

Angenommen, man würde eine Abstimmung hinter dem zuvor beschriebenen Schleier der Unwissenheit über die Nutzung der Atomtechnologie, den Einsatz von Gentechnik, die Verschmutzung der Weltmeere oder die Abholzung der Regenwälder durchführen.

Welches Abstimmungsergebnis würde erwartungsgemäß herauskommen? Es dürfte fraglich sein, ob unverändert langfristige Nachteile zugunsten kurzfristiger Vorteile bewusst in Kauf genommen werden.

Natürlich kann niemand genau vorhersagen, was künftigen Generationen einmal wichtig sein könnte.

Nur wäre es deswegen ethisch begründbar, wenn eine Generation risikobehaftete Technologien wie die Atomtechnik und Gentechnik oder globale Ökosysteme wie die Weltmeere oder Regenwälder auf eine Weise nutzt, die sich für nachfolgende Generationen gravierend nachteilig auswirken kann?

Würde dabei nicht auf zukünftige Technologien und Möglichkeiten spekuliert werden, mit denen sich alle durch eine solche Nutzung hervorgerufenen, künftigen Natur- und Umweltprobleme lösen lassen?

Denn als Gegenargument zu diesem optimistischen Fortschrittsglauben könnte genauso gut eingewendet werden, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass die Menschheit zum rechten Zeitpunkt einen Weg finden wird, um die anstehenden Natur- und Umweltprobleme zu bewältigen.

Wünschenswert wäre deshalb eine Denkweise, wonach die Menschen die Welt, von der sie leben, nur von kommenden Generationen geliehen haben.

Vielleicht gäbe es manche der heutigen Probleme im Naturschutz und Umweltschutz nicht, wenn die Menschen eine Lebenserwartung von mehreren hundert Jahren hätten.

Resümee mit Unterteilung und Arten

Aus den zuvor dargestellten Problemen und Fragestellungen ergibt sich, dass eine anthropozentrische Umweltethik in zwei Arten unterteilt werden kann: in eine Anthropozentrik im engeren Sinne und in eine Anthropozentrik im weiteren Sinne.

Beide Ansätze betrachten die Menschen als das Maß aller Dinge und gestehen nur den Menschen Eigenrechte zu; sie unterscheiden sich jedoch innerhalb dieses Rahmens fundamental.

Im engeren Sinne

Eine anthropozentrische Umweltethik im engeren Sinne berücksichtigt nur Interessen von bestimmten Menschen auf der Welt:

Bezieht sie sich auf einzelne Menschen, kann sie als egozentrische Umweltethik bezeichnet werden, solange die Übervorteilung anderer Menschen nicht beabsichtigt und bekannt ist.

Ist die mit einem bestimmten Verhalten verbundene Übervorteilung anderer Menschen beabsichtigt oder bekannt und führt zu keiner Verhaltensänderung, kann von einer egoistischen Umweltethik gesprochen werden.

Bezieht sich eine anthropozentrische Sichtweise auf eine bestimmte Gruppe von Menschen auf der Welt, kann sie als oligoistische oder elitäre Umweltethik bezeichnet werden.

Bezieht sich eine anthropozentrische Sichtweise auf eine bestimmte Region, ein bestimmtes Land oder bestimmte Länder auf der Welt, kann sie als regionale oder nationale Umweltethik bezeichnet werden.

Im weiteren Sinne

Eine anthropozentrische Umweltethik im weiteren Sinne berücksichtigt die Interessen aller Menschen.

Sie behandelt Interessen der Menschen in Entwicklungsländern und Industrieländern gleichwertig und beachtet die Interessen künftig lebender Generationen im Sinne einer intergenerativen Gerechtigkeit.

Auch andere Lebewesen (Pflanzen, Pilze, Tiere) oder die Natur werden berücksichtigt, soweit es

Das bedeutet noch nicht, dass anderen Lebewesen Eigenrechte zugesprochen werden: Naturschutz, Umweltschutz und Tierschutz finden im Anthropozentrismus nur um der Menschen willen statt.


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Literaturangaben und Anmerkungen:

[1] Teutsch, Gotthard M. (1985), Lexikon der Umweltethik, Düsseldorf, S. 8/9.

[2] Teutsch, Gotthard M. (1987), Mensch und Tier: Lexikon der Tierschutzethik, Göttingen, S. 16.

[3] Aristoteles: Politik 1256 b 15 - 20, in der Übersetzung von Rolfes, Eugen (1981), Philosophische Bibliothek, Band 7, Verlag Felix Meiner, Hamburg, S. 16.

[4] Teutsch, Gotthard M. (1985), Lexikon der Umweltethik, Düsseldorf, S. 8/9.

[5] Ebenda, S. 9.

[6] Ebenda, S. 10.

[7] Ebenda, S. 8.

[8] Naturschutzjugend (NAJU) im NABU (2015): Fokus Biologische Vielfalt – Von der Naturerfahrung zur politischen Bildung, Aktionsheft für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe (Digital), Berlin, S. 5.

[9] Sitte, Peter/Weiler, Elmar/Kadereit, Joachim W./Bresinsky, Andreas/Körner, Christian: Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. Begründet von E. Strasburger. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2002 (35. Aufl.), S. 10.

[10] Wernicke, C. (1992): Die Schuld der Gläubiger, in: ZEIT-Punkte, Nr.1/92, Ein Gipfel für die Erde – Nach Rio: Die Zukunft des Planeten, S. 63/64.

[11] Gore, Al (1992), Wege zum Gleichgewicht – Ein Marshallplan für die Erde, Frankfurt am Main, S. 131.

[12] Ebenda, S. 131.

[13] Gardner, Robert Allen (2007): Review of sign language studies of cross-fostered chimpanzees. Journal of the Washington Academy of Sciences, Volume 93, Number 1, S. 37-57.

[14] Savage-Rumbaugh, Emily Sue/Rumbaugh, Duane Marwin/Boysen, Sarah (1980): Do apes use language? One research group considers the evidence for representational ability in apes, American Scientist, Volume 68, Number 1, S. 49–61.

[15] Newen, Albert (2011) in: Spektrum der Wissenschaft, Ausgabe April 2011, Serie Philosophie (Teil 4) – Was ist der Mensch? - Das Verhältnis von Mensch und Tier, S. 5-6.

[16] Wilhelma Magazin, Ausgabe 1, Frühjahr 2016, Tierethik – Von Intelligenz und Bewusstsein der Tiere, S. 11–15.

[17] Literatur zum Spiegeltest, der erfolgreich bei Tieren durchgeführt wurde:

Avolios, Carla (2024): Barsche treiben`s bunt, in: Max Planck Forschung, Ausgabe 02/2024, S. 64.

Prior, Helmut/Schwarz, Ariane/Güntürkün, Onur (2008): Mirror-Induced Behavior in the Magpie (Pica pica): Evidence of Self-Recognition, erschienen in: PLoS Biology, August 2008, Volume 6, Issue 8, e202, S. 1–9, doi:10.1371/journal.pbio.0060202

Wilhelma Magazin, Ausgabe 1, Frühjahr 2016, Tierethik – Von Intelligenz und Bewusstsein der Tiere, S. 8/9.

[18] Nielsen, Mark/Suddendorf, Thomas/Slaughter, Virginia (2006): Mirror self-recognition beyond the face, University of Queensland, erschienen in: Child Development, January/February 2006, Volume 77, Number 1, S. 183.

[19] Übersetzung von Low, Philip (2012): The Cambridge Declaration on Consciousness. Proceedings of the Francis Crick Memorial Conference, Churchill College, Cambridge University, July 7 2012, S. 1–2.

[20] Animal Public e. V./Born Free Foundation/Bund gegen Missbrauch der Tiere e. sV. (2012): Der EU-Zoo-Report 2011, Länderbericht Deutschland, S. 22.

[21] Kaiser, Reinhard (1981): Global 2000 – Der Bericht an den Präsidenten, 12. Aufl., Zweitausendeins Verlag, Frankfurt a. Main, S. 615.

[22] Kant, Immanuel (1797), Metaphysik der Sitten, Teil 2: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, § 17, neu hrsg. v. Ludwig, Bernd (1990), Hamburg, S. 84.

Anmerkung: Bekannt geworden ist Immanuel Kant in der Zeit der Aufklärung durch seine Werke, wie „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) oder „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788). Sie kennzeichnen den zentralen Wendepunkt in der Philosophiegeschichte und den Beginn der modernen Philosophie.

[23] Ebenda, S. 84/85.

[24] Harborth, Hans-Jürgen (1991): Dauerhafte Entwicklung statt globaler Selbstzerstörung – eine Einführung in das Konzept des Sustainable Developments, Verlag: Edition Sigma, Berlin, S. 15.

[25] Höffe, Otfried (1979): Ethik und Politik – Grundmodelle und -probleme der praktischen Philosophie, Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 266, Frankfurt am Main, S. 163.

[26] Rawls, John (1994): Eine Theorie der Gerechtigkeit (Einheitssachtitel: A theory of justice), 8. Auflage, übersetzt von Hermann Vetter, Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 271, Frankfurt am Main, S. 150.

[27] Ebenda, S. 159.

[28] Ebenda, S. 160.

[29] Höffe, Otfried (1979): Ethik und Politik – Grundmodelle und -probleme der praktischen Philosophie, Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 266, Frankfurt am Main, S. 167/168 und 179.


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