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Ökozentrische/Holistische Umweltethik (Holismus, Ökozentrismus, Naturethik)

Was spricht für eine ökozentrische oder holistische Umweltethik (Naturethik)? Welche Probleme einer Definition und Umsetzung ergeben sich bei der Ethik des Holismus bzw. Ökozentrismus (Ökozentrik)?


INHALT

  1. Definition und Erklärung

  2. Probleme der Bedürfnisbefriedigung und Interessenkonflikte

  3. Umsetzung am Beispiel der Rede von Indianerhäuptling Chief Seattle

  4. Zur Bedeutung holistischer Argumente in der Praxis

  5. Ungeklärte Reichweite – Die kosmozentrische Umweltethik (Kosmozentrismus)

Definition und Erklärung

Was bedeutet ökozentrisch (englisch: ecocentric) oder holistisch (englisch: holistic)? Hat die Natur einen Eigenwert? Was versteht man unter Holismus oder Ökozentrismus in der Ethik? [1]

In dieser ganzheitlichen Umweltethik werden über die biozentrische Umweltethik hinausgehend nicht nur allen Lebewesen, sondern auch unbelebter Materie Rechte und Mitgefühl zugestanden.[2]

Alles, was existiert, hat ein Recht darauf, fortzubestehen, somit auch Steine, Gebirge, Gewässer (Bäche, Flüsse, Weiher, Seen, Meere), Wüsten, Ökosysteme, Biotope und Landschaften an sich.

Die Menschen sind im Gegensatz zur anthropozentrischen Sichtweise nicht mehr der Maßstab aller Dinge. Sie sind nur ein Teil der Natur und die Natur als Ganzes ist der Maßstab aller Dinge.

Auch alle leidensfähigen Lebewesen in der pathozentrischen Umweltethik oder alle Lebewesen in der biozentrischen Umweltethik sind nicht mehr der Maßstab aller Dinge und nur ein Teil der Natur.

Entscheidend ist, was der Natur als Ganzes nützt und nicht nur allein dem Vorteil von Lebewesen.

Allerdings läuft eine Naturethik, die allen Bestandteilen der Natur eine eigenständige Bedeutung zuspricht, keineswegs darauf hinaus, dass alles in der Natur gleich behandelt werden muss.

Die holistische Umweltethik verlangt keine absolute Gleichbehandlung von belebter und unbelebter Materie; ihr geht es vielmehr darum, dass Unbelebtes nicht einfach unberücksichtigt bleibt.[2]

Bei den nicht holistischen Umweltethiken wird immer ein bestimmter Teil der Natur ins Zentrum allen Interesses gestellt: sei es der Mensch, alles Leidensfähige oder alles Lebende.

Dem gegenüber geht die holistische Umweltethik von einer ganzheitlichen Sichtweise der Dinge aus, welche die Wichtigkeit der Teile für das Ganze betont; alles hängt mit allem zusammen.[3]

Im Anthropozentrismus erfolgt Naturschutz, wenn er menschlichen Interessen dient, wie dem Erhalt von nicht erneuerbaren Rohstoffen, Nahrungsmittelquellen oder der Artenvielfalt.

Erst im Holismus (Ökozentrismus) erfolgt Naturschutz um der Natur willen, weil der Natur ein Selbstwert zugesprochen wird jenseits aller menschlichen Interessen und menschlicher Wertschätzung.

Die Naturphilosophie beschäftigt sich somit mit der Frage des richtigen und guten Umgangs mit der Natur.

Probleme der Bedürfnisbefriedigung und Interessenkonflikte

Wie bei der pathozentrischen und biozentrischen Umweltethik treten auch bei der holistischen Umweltethik Probleme auf, wie im Einzelfall die Interessen und Bedürfnisse zu gewichten sind.

Allerdings treten im Holismus die größten Probleme auf, weil im Vergleich mit den anderen umweltethischen Ansätzen die meisten Rechte gegeneinander abgewogen werden müssen.

Vom Anthropozentrismus, über den Pathozentrismus und Biozentrismus bis hin zum Holismus (Ökozentrismus) wird die menschliche Bedürfnisbefriedigung immer schwerer und fast unmöglich.

Eine holistische Umweltethik lässt sich nur schwer in die Praxis umsetzen, wobei zu hinterfragen wäre, ob nur eine naturschädliche Lebensweise von Menschen im Kreuzfeuer der holistischen Kritik stünde.

Ebenfalls betroffen wären auch viele große Tiere wie zum Beispiel Elefanten oder Büffel, die unweigerlich zahlreiche Pflanzen und Kleinstlebewesen zertrampeln, wenn sie sich in der Natur bewegen.

Ebenfalls betroffen wären Parasiten wie der Borkenkäfer, der fähig ist, ganze Wälder zu vernichten.

Genauso könnte an der Daseinsberechtigung exzessiver Pflanzenfresser wie Kaninchen oder Kängurus auf der Erde gezweifelt werden; sind diese doch fähig, ganze Landstriche kahlzufressen.

Aus diesem Grund müsste geklärt werden, wie die Welt in einem idealen holistischen Umwelt-Modell beschaffen sein müsste.

Dazu müsste ein „idealer Zustand“ der Erde festgelegt werden, bei dem sich der Mensch zwangsläufig an der gegenwärtigen Entwicklung der Erde zu orientieren hätte.

Denn bekanntermaßen gab es und gibt es keinen statischen Zustand der Erde. Vielmehr entwickelt sich die Erde dynamisch und niemand weiß genau, wie sie sich weiterentwickeln wird.

Selbst wenn die Menschen die Erde verlassen würden, könnte ein vergangener „idealer“ Zustand nicht wiederhergestellt werden. Die bereits ausgestorbenen Pflanzen- und Tierarten sind unwiderruflich verloren.

Umsetzung am Beispiel der Rede von Indianerhäuptling Chief Seattle

Das Naturverständnis bestimmter Indianerstämme vor der Eroberung des nordamerikanischen Kontinents durch weiße Siedler kann als praktische Umsetzung einer holistischen Lebensform verstanden werden:

Im Jahr 1855 unterbreitete Franklin Pierce, der 14. Präsident der Vereinigten Staaten, den Duwamish und Suquamish, zwei Indianervölker im heutigen Bundesstaat Washington, das Angebot, ihr Land weißen Siedlern zu verkaufen und sich in ein Reservat zurückzuziehen.[4]

Häuptling Chief Seattle um das Jahr 1860
Chief Häuptling Seattle um 1860

Glaubt man den Überlieferungen, dann war den Indianern zu dieser Zeit diese Vorstellung fremd. Sie verstanden nicht, wie man überhaupt Land kaufen und verkaufen kann.

Entsprechend soll Chief Seattle (1786–1866), der damalige Häuptling der Duwamish, in seiner Rede an den „großen Häuptling der Weißen“ seine Verwunderung zum Ausdruck gebracht haben:

„Wenn wir die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers nicht besitzen – wie könnt Ihr sie dann von uns kaufen? [...] Wir sind ein Teil der Erde, und sie ist ein Teil von uns.“ [5]

Die Indianer hatten Ehrfurcht vor der gesamten Natur; vor der belebten und der unbelebten. Ihnen war jeder Teil der Erde heilig:

„Jede glitzernde Tannennadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jedes summende Insekt.“ [6]

Die Duwamish-Indianer teilten eine holistische Umweltethik, wonach Menschen, Tiere, Pflanzen und unbelebte Natur auf einer Stufe stehen:

„Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern. Die Rehe, das Pferd, der große Adler sind unsere Brüder. Die felsigen Höhen, die saftigen Wiesen, die Körperwärme des Ponys und des Menschen – sie alle gehören zur gleichen Familie. [...] Die Flüsse sind unsere Brüder und Eure – Ihr müsst den Flüssen Eure Güte geben, so wie jedem anderen Bruder auch.“ [6]

In seiner Rede an den amerikanischen Präsidenten verdeutlichte Häuptling Seattle, dass die Indianer keine anthropozentrische Sichtweise vertreten, wonach die Menschen im Mittelpunkt der Natur stehen.

Vielmehr folgten sie einem Holismus, der die Menschen als Teil der Natur versteht und ihr unterordnet:

„Denn das wissen wir, die Erde gehört nicht den Menschen, der Mensch gehört zur Erde – das wissen wir.“ [7]


Häuptling Seattle richtete auch eine eindringliche Warnung an die Weißen, die aktueller ist, denn je:

„Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Was immer den Tieren geschieht, geschieht bald auch dem Menschen. Alle Dinge sind miteinander verbunden. Was der Mensch der Erde antut, tut er sich selbst an.“ [8]


Die Denkweise der Weißen gänzlich nicht verstehend, äußerte sich Häuptling Seattle nachdenklich:

„Vielleicht könnten wir Euch verstehen, wenn wir wüssten, wovon Ihr träumt.“ [9]


Aus der Rede von Chief Seattle an den Präsidenten der Vereinigten Staaten ließe sich aus umweltethischer Sichtweise das folgende Resümee ziehen:

Wie es scheint, haben in den USA die Anthropozentriker die Holistiker vertrieben. Oder anders ausgedrückt: Ein real gelebter Holismus wurde durch einen Anthropozentrismus ersetzt.

Zur Bedeutung holistischer Argumente in der Praxis

Bezüglich der Frage, welche Bedeutung die Argumente einer holistischen Umweltethik in der Praxis haben, dürfte es kaum Beispiele auf der Erde geben, in denen der Holismus allein betroffen ist.

Denn sobald es Leben in einer Region gibt, kommt es dort bei Abwägungen zu Überschneidungen mit den Argumenten einer anthropozentrischen, pathozentrischen oder biozentrischen Umweltethik.

Dabei entstehen in Konkurrenzsituationen regelmäßig Probleme bei der Güterabwägung zwischen den Interessen der verschiedenen Rechteinhaber und bei der praktischen Durchsetzung von Rechten.

Hinzukommt, dass die Menschen die einzige Instanz sind, die Güterabwägungen vornehmen und Rechte anderer Lebewesen oder der Natur durchsetzen können.

Denn Menschen sind die einzigen Lebewesen auf der Erde, die über das dafür erforderliche logische Denkvermögen und Urteilsvermögen verfügen.

Ungeklärte Reichweite – Die kosmozentrische Umweltethik (Kosmozentrismus)

Noch ungeklärt ist die Frage, wie weit in der Ethik der Begriff Holismus (Ökozentrismus) in räumlicher Ausdehnung reicht. Soll dieser nur auf der Erde gelten oder auch im Universum?

Letzteres bringt der Begriff „Kosmozentrismus“ zum Ausdruck (von griechisch kosmos = die Welt als Ganzes, Weltordnung und in der Moderne davon abgeleitet: das Weltall oder Universum).

Der Wortbedeutung nach ist in einer kosmozentrischen Umweltethik neben belebter und unbelebter Natur auf der Erde auch der gesamte Kosmos bzw. das Universum Träger eigenständiger Rechte.

Die kosmozentrische Umweltethik reicht über die holistische Umweltethik hinaus, weil sie nicht nur die gesamte Schöpfung auf der Erde im Blick hat, sondern auch das Universum, dessen Teil die Erde ist.

Dabei handelt es sich beim Kosmozentrismus in der Ethik nicht nur um eine Theorie ohne Praxisbezug, denn bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums und anderer Planeten entsteht Weltraummüll.

Zu nennen sind zum Beispiel ausgediente Weltraumstationen und Satelliten oder Objekte von Raumfahrtmissionen wie Raumsonden, abgesprengte Raketenstufen, Verkleidungen und Trägerraketen.


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Literaturangaben und Anmerkung:

[1] Anmerkung: Allgemein wird Holismus oder Holistik in der Philosophie als eine Sichtweise verstanden, nach der das Ganze mehr ist als die Summe der Eigenschaften seiner einzelnen Teile.

[2] Teutsch, G.M. (1985), Lexikon der Umweltethik, Vandenhoeck und Ruprecht Verlag, Düsseldorf, S. 46.

[3] Ebenda S. 46/47.

[4] Seattle (1855), in: Wir sind ein Teil der Erde – Die Rede des Häuptlings Seattle an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1855, in: Walter-Verlag (1986), Olten (Schweiz) und Freiburg im Breisgau (Bundesrepublik Deutschland), S. 5.

[5] Ebenda, S. 10.

[6] Ebenda, S. 10/11/16.

[7] Ebenda, S. 25.

[8] Ebenda, S. 24.

[9] Ebenda, S. 16.


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