Was ist eine biozentrische Umweltethik? Welche Probleme ergeben sich, einfach erklärt, bei der Umsetzung einer biozentrischen Ethik (Biozentrik, Biozentrismus) und Pflanzenethik nach Albert Schweitzer?
INHALT
Was bedeutet biozentrisch (englisch: biocentric) oder Biozentrismus (Biozentrik) in der Philosophie?
In der biozentrischen Umweltethik (von griechisch bios = Leben und lateinisch centrum = Mittelpunkt) werden allen Lebewesen eigenständige Rechte und Mitgefühl zugestanden:
Über die pathozentrische Umweltethik hinausgehend wird davon ausgegangen, dass Menschen nicht nur unmittelbare Pflichten gegenüber leidensfähigen Lebewesen, sondern gegenüber allen Lebewesen haben, also auch allen Pflanzen und allen Tieren gegenüber.[1]
Im Unterschied zum Anthropozentrismus stehen im Biozentrismus nicht die Menschen im Mittelpunkt allen Seins und genießen dadurch eine Sonderstellung, sondern alle Lebewesen stehen im Mittelpunkt.
Zurückgehend auf den deutschen Arzt und Philosophen » Albert Schweitzer ist das höchste Ziel für die Menschen, alles Leben zu bewahren, zu berücksichtigen und zu schützen.
Begründet wird der biozentrische Ansatz damit, dass auch schmerzunempfindliche Lebewesen wie Pflanzen oder Mikroorganismen ein unbewusstes Interesse an der Erhaltung ihres Lebens hätten.[1]
Es wird zunächst nicht hinterfragt, ob ein Lebewesen
- denken und sprechen kann,
- ein Bewusstsein hat oder
- leidensfähig und schmerzempfindlich ist.
Im Unterschied zum Pathozentrismus sind im Biozentrismus alle
Lebewesen zu achten und allen Lebewesen ist Mitgefühl entgegenzubringen. Eine Relativierung von Ethik findet nicht statt.
Alle Lebewesen haben ein Lebensrecht und damit auch Archaeen oder Bakterien oder Insekten wie Ameisen, Fliegen, Flöhe, Käfer, Kakerlaken, Läuse, Motten, Mücken, Spinnen, Wanzen, Wespen oder Zecken.
Der Biozentrismus umgeht das Problem des Pathozentrismus, zwischen leidensfähigen und nicht leidensfähigen Lebewesen unterscheiden zu müssen.
Anorganisches wie Steine oder Mineralien wird in der biozentrischen Philosophie nur berücksichtigt, soweit es allem Organischen, das lebt, zum Vorteil gereicht.
Der Naturschutz, der die Natur und Pflanzen um ihrer selbst willen schützen will, wird meistens mit Argumenten der biozentrischen Umweltethik begründet, während das Motiv des anthropozentrisch orientierten Umweltschutzes vom Überlebensinteresse des Menschen geprägt ist.[2]
Nachfolgend werden Probleme, Beispiele und Vertreter der biozentrischen Umweltethik beleuchtet.
Konsequenter Vertreter einer biozentrischen Umweltethik war der deutsche Arzt, Forscher, Theologe, Musikwissenschaftler, Friedensnobelpreisträger und Philosoph Albert Schweitzer (1875–1965).
Albert Schweitzer 1952
Albert Schweitzer vertrat die Ansicht, dass Menschen für alles Leben
auf der Erde unbeschränkt verantwortlich seien, was er durch folgendes
Zitat zum Ausdruck brachte:
„Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung für alles, was lebt.“[3]
Die Ehrfurcht vor dem Leben zeigte sich in einem weiteren Zitat von
Albert Schweitzer: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben,
das leben will.“[4]
Daraus ergibt sich, dass Menschen nur aus einer zwingenden Notwendigkeit heraus das Leben anderer
Lebewesen schädigen dürfen und niemals aus Gedankenlosigkeit.
Was die Ehrfurcht
vor dem Leben als höchste Instanz für ethisches Verhalten gebietet, ist – so Albert Schweitzer – auch von Bedeutung, wenn
eine Handlung durch sie töricht oder vergeblich erscheint.[5]
So fühlte sich Albert Schweitzer als ein Massenvernichter von Bakterien, wenn er als praktizierender Arzt Bakterien mit Medikamenten vernichtete, um kranke Menschen zu heilen.
Die Gewissenskonflikte, die er dabei empfand, hat Albert Schweitzer auf folgende Weise beschrieben:
„Ich freue mich über die neuen Schlafkrankheitsmittel, die mir erlauben, Leben zu erhalten, wo ich früher qualvollem Siechtum zusehen musste. Jedes Mal aber, wenn ich unter dem Mikroskop die Erreger der Schlafkrankheit vor mir habe, kann ich nicht anders, als mir Gedanken zu machen, dass ich dieses Leben vernichten muss, um anderes zu erretten.“ [6]
Wie die Natur-Philosophie von Albert Schweitzer zeigt, würden
die Menschen bei ihrer Selbsterhaltung ständig in innere Konflikte geraten, weil sie gegen
biozentrische Prinzipien verstoßen müssten.
Letztlich müssten alle Menschen bei einem konsequent verstandenen Biozentrismus vor sich selbst rechtfertigen, dass es sie überhaupt gibt und dass sie auf der Welt sind.
Im Folgenden werden Naturgesetze beleuchtet, denen alle Lebewesen unterliegen, und die es allen Lebewesen unmöglich machen, alles irdische Leben zu berücksichtigen, um zu überleben.
Wie sich zeigen wird, relativieren diese Naturgesetze die Forderung des Biozentrismus, wonach Menschen, Pflanzen und Tiere die gleichen Rechte zuzustehen sind.
Eine biozentrische Umweltethik, die von Menschen verlangt, dass sie die Rechte aller Lebewesen berücksichtigen, ließe ein Naturgesetz unbeachtet, dem alle Menschen unterliegen.
Um selbst zu überleben, sind alle Menschen in ihren Handlungsmöglichkeiten beschränkt und können nicht immer die Interessen anderer Lebewesen berücksichtigen.
So können selbst Veganer oder Vegetarier, um zu leben, nicht auf Pflanzen wie Arzneipflanzen, Heilpflanzen, Nahrungspflanzen und Nutzpflanzen verzichten.
Albert Schweitzer war sich dessen bewusst, dass er bei dem Versuch, die Ehrfurcht
vor dem Leben praktisch umzusetzen, in seinem Leben natürlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist:
„Die Notwendigkeit, Leben zu vernichten und Leben zu schädigen, ist mir auferlegt. Wenn ich auf einsamem Pfade wandle, bringt mein Fuß Vernichtung und Weh über die kleinen Lebewesen, die ihn bevölkern. Um mein Dasein zu erhalten, muss ich mich des Daseins, das es schädigt, erwehren. Ich werde zum Verfolger des Mäuschens, das in meinem Haus wohnt, zum Mörder des Insekts, das darin nisten will, zum Massenmörder von Bakterien, die mein Leben gefährden können. Meine Nahrung gewinne ich durch die Vernichtung von Pflanzen und Tieren. Mein Glück erbaut sich aus der Schädigung von Nebenmenschen.“ [7]
Mit seiner Überlegung brachte Albert Schweitzer ein fundamentales
Naturgesetz zum Ausdruck, dem alle Menschen bei der Berücksichtigung
von Interessen anderer Lebewesen unterworfen sind:
Der Erhalt von menschlichem Leben auf der Erde ist unmöglich, ohne das Leben von nicht menschlichen Lebewesen (Bakterien, Pflanzen, Pilze und Tiere) oder anderen Menschen zu beeinträchtigen.
Das gilt selbst für den sog. Frutarismus, eine spezielle vegane
Ernährungsform, die nur den Verzehr von Pflanzenteilen wie Nüssen, Obst
und Samen zulässt, durch den eine Pflanze nicht zerstört wird.
Denn Menschen können nun mal nicht wie Vögel fliegen. Sie können folglich auch nicht in der Natur, ohne den Boden zu berühren, zu diesen Pflanzenteilen gelangen, um sie aus der Luft zu ernten.
Aus diesem Grund können Menschen auch nicht unter Beachtung des Frutarismus ausschließen, dass sie bei der Ernte bestimmter Pflanzenteile in der Natur nicht andere Pflanzen oder Kleinstlebewesen am Boden wie Insekten oder Würmer in Mitleidenschaft ziehen oder gar vernichten.
Nur stellt sich die Frage, welchen Sinn eine Ethik haben kann, die praktisch nicht umsetzbar ist und unter deren Blickwinkel unzählige Handlungen verwerflich sind.
Eine Ethik, die ständig ein schlechtes Gewissen verursacht, birgt die Gefahr in sich, dass sie zu guter Letzt nicht beachtet wird. Gemäß dem Motto „Wie ich es auch mache, mache ich es sowieso falsch.“
Diese Überlegung bringt ein Zitat von Albert Schweitzer auf den Punkt: „Es ist besser, hohe Grundsätze zu haben, die man befolgt, als noch höhere, die man außer Acht lässt.“ [8]
Zeichnung: Albert Schweitzer
Zwar mag sich für Albert Schweitzer nicht die Frage wie im Pathozentrismus gestellt haben, ob und in welchem Maße ein Lebewesen empfindungsfähig ist, weil für ihn das Leben als solches heilig war.[9]
Dennoch hat er seine Tier- und Pflanzenethik nicht absolut verstanden, sondern als eine Verhaltensrichtlinie zum Bewahren von Leben, wo immer es möglich ist.
Wahrhaft ethisch verhalten sich Menschen, so Albert Schweitzer, wenn sie allem Leben, dem sie beistehen können, helfen und sich davor scheuen, irgendetwas Lebendigem zu schaden.[9]
Albert Schweitzer vertrat die Auffassung, dass ein solches Verhalten den Gewissenskonflikt verringere, der für Biozentriker dadurch entsteht, weil sie als Menschen auf Kosten anderer Lebewesen leben müssen, um selbst zu überleben.
„Indem ich einem Insekt aus der Not helfe, tue ich nichts anderes, als dass ich versuche, etwas von der immer neuen Schuld des Menschen an der Kreatur abzutragen.“ [10]
Im Unterschied zu nicht menschlichen Lebewesen haben die Menschen durch ihren Verstand und ihre Vernunft die Möglichkeit, die Interessen anderer Lebewesen so wenig wie möglich zu beeinträchtigen.
Die Ehrfurcht vor dem Leben wird dadurch begrenzt, dass sich hinter der Schönheit der Natur in Wirklichkeit ein gnadenloser und oft grausamer Überlebenskampf bis hin zu den kleinsten Organismen verbirgt.
Albert Schweitzer war sich dieser zwei Gesichter der Natur bewusst, wie folgendes Zitat verdeutlicht:
„Die Natur ist schön und großartig, von außen betrachtet,
aber in ihrem Buch zu lesen, ist schaurig.“ [11]
Eine biozentrische Umweltethik, die von Pflanzen und Tieren verlangt, dass sie die Interessen aller Lebewesen berücksichtigen, ließe ein Naturgesetz unbeachtet, dem alle Pflanzen und Tiere unterliegen.
Um zu überleben, könnten Pflanzen und Tiere schon alleine deshalb nicht auf die Schädigung anderer Lebewesen verzichten, weil sie keine bewussten Entscheidungen treffen können.
Tiere sind instinktiv gezwungen, andere Lebewesen in den folgenden Fällen zu schädigen:
Reine Fleischfresser (Karnivoren) wie Füchse, Großkatzen, Raubfische, Raubvögel, Robben und die die meisten Reptilien ernähren sich ausschließlich von anderen Tieren.
Reine Pflanzenfresser (Herbivoren) wie Elefanten, Giraffen, Hasen, Hirsche, Kängurus, Koalas, Pandas, Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen ernähren sich ausschließlich von Pflanzen.
Wilde, fleischfressende Tiere wie Großkatzen (Leoparden, Löwen, Tiger), Haifische, Komodowarane, Krokodile, Riesenschlangen und Wölfe würden sich bei Gelegenheit auch von Menschen ernähren.
Viele Tiere führen instinktiv Revierkämpfe mit anderen Tieren um Nahrung, um den Fortpflanzungserfolg innerhalb ihrer Art oder um ihren Nachwuchs zu verteidigen.
Viele Tiere verteidigen sich gegen Menschen, weil sie sich oder ihren Nachwuchs bedroht fühlen.
Auch Pflanzen können in folgenden Fällen nicht darauf verzichten, andere Lebewesen zu schädigen:
Sie verdrängen andere Pflanzen im Konkurrenzkampf um Licht, Nährstoffe und Wasser.
Sie verteidigen sich gegen ihre Fraßfeinde durch Giftstoffe, um zu überleben.
Sie ernähren sich von Tieren, wie die fleischfressenden Schlauchpflanzengewächse, Sonnentaugewächse, Wanzenpflanzengewächse oder Wasserschlauchgewächse.
Selbst sog. Pionierpflanzen werden nach und nach von konkurrenzstärkeren
Pflanzen verdrängt und sterben unweigerlich aus, wenn sie nicht
ständig neue vegetationsfreie Gebiete finden.
Und das, obwohl sie keine anderen Lebewesen beeinträchtigen, wenn sie zuerst vegetationsfreie Gebiete nach Erdrutschen, Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen oder Waldbränden besiedeln.
Die genannten Beispiele bringen ein fundamentales Naturgesetz der
natürlichen Beschränktheit von Pflanzen und Tieren bei der Berücksichtigung der Interessen anderer Lebewesen
zum Ausdruck:
Der Erhalt von pflanzlichem und tierischem Leben auf der Erde ist unmöglich, ohne das Leben von anderen vorhandenen Lebewesen (Bakterien, Pflanzen, Pilze, Tiere, Menschen) zu beeinträchtigen.
Demzufolge kann sich eine biozentrische Umweltethik, die Interessen von
allen Lebewesen berücksichtigen will und eigenständige Rechte für alle
Lebewesen fordert, nicht nur an Menschen richten.
Sie muss hinterfragen, ob alle Lebewesen
dieser Forderung nachkommen und nachkommen können. Dabei muss sie alle
Konstellationen berücksichtigen, in denen die Menschen nicht die
Handelnden sind:
Tiere schädigen andere Tiere
Tiere schädigen Pflanzen
Tiere schädigen Menschen
Tiere und Pflanzen schädigen einander
Pflanzen schädigen andere Pflanzen
Pflanzen schädigen Tiere
Pflanzen schädigen Menschen
Eine biozentrische Ethik, die nur menschliche Handlungen bewertet, lässt sich nicht schlüssig begründen. Auch Handlungen von Pflanzen und Tieren können die Interessen anderer Lebewesen beeinträchtigen.
Allerdings laufen diese Handlungen bei Pflanzen und Tieren unbewusst ab und beruhen nicht auf bewussten Entscheidungen. Diese Handlungen sind aus ethischer Sicht weder gut noch schlecht.
Weder sind Katzen, die eine Maus fressen, „böse“, noch sind schnell wachsende Bäume im Wald „böse“, die langsam wachsenden Bäumen Licht, Nährstoffe und Wasser nehmen, und sie dadurch vernichten.
Die Voraussetzung für ethisches oder unethisches Handeln ist, dass die Handelnden eine Vorstellung von bestimmten Werten haben und ihre Entscheidungen auf Basis dieser Werte treffen.
Nur die Menschen können ihr Handeln nach bestimmten Werten ausrichten, weil sie denken können.
Es fehlen zweifelsohne die ethischen Voraussetzungen für eine Bestrafung von Pflanzen und Tieren, die andere Lebewesen durch ihre Handlungen beeinträchtigen oder schädigen.
Aus ethischer Perspektive besteht also ein Unterschied darin, ob Menschen bewusst anderen Lebewesen schaden oder ob Pflanzen und Tiere unbewusst anderen Lebewesen schaden.
Deshalb kann eine Gleichbehandlung von allen Lebewesen im Biozentrismus keinen Sinn ergeben.
Wie zuvor ausgeführt, kann eine biozentrische Umweltethik nicht im Sinne eines Gleichbehandlungsgrundsatzes für alle Lebewesen verstanden werden.
Nur wenn berücksichtigt wird, dass alle Lebewesen auf der Erde dem Naturgesetz unterliegen, für ihren Selbsterhalt ggf. andere Lebewesen schädigen zu müssen, ergibt das Konzept der Biozentrik Sinn.
Menschen können, egal ob sie Vegetarier oder Veganer sind, nicht auf der Erde leben, ohne das Leben von nichtmenschlichen Lebewesen wie Bakterien, Pflanzen und Tieren zu beeinträchtigen.
In einer Grenzsituation von extremer Knappheit lebenswichtiger Stoffe wie Nahrungsmittel, Wasser oder Luft ist der Erhalt von Menschenleben ebenfalls nicht möglich, ohne das Leben anderer Menschen zu beeinträchtigen.
Die Menschen dürften nicht einmal Landwirtschaft oder Gartenbau betreiben bei einem Biozentrismus, der verlangt, dass die Menschen immer das Leben von Pflanzen und Tieren berücksichtigen müssen.
Denn in der Landwirtschaft und im Gartenbau ist es unvermeidbar, dass die Interessen von Pflanzen und Kleinstlebewesen unberücksichtigt bleiben.
Unklar ist ferner, wie weit das Recht auf Selbstverteidigung der Menschen gegen Tiere reicht, die sie angreifen, oder gegen Kleinstlebewesen wie Bakterien, Insekten und Parasiten, die ihre Gesundheit gefährden können.
Eine biozentrische Umweltethik, die allen Lebewesen das gleiche Recht zu existieren gewähren würde, hätte die vollständige Handlungsunfähigkeit aller Menschen zu Folge.
Demzufolge sind notwendigerweise nicht alle Lebewesen gleich zu behandeln. Pflanzen dürfen aufgrund ihrer Andersartigkeit auch entsprechend anders als Menschen und Tiere behandelt werden.[12]
Die Schmerzunempfindlichkeit von Pflanzen – zumindest nach heutigem Wissensstand der Menschheit – verringert den Umfang ihrer Ansprüche, doch hebt sie nicht völlig auf.[12]
Eine biozentrische Umweltethik kann somit als Aufforderung verstanden werden, anderes Leben nur zu beeinträchtigen und zu schädigen, wenn es unvermeidlich ist.
Allerdings dürften unterschiedliche Meinungen darüber bestehen, welche Schädigungen anderer Lebewesen vermeidbar und welche unvermeidbar sind.
Dem Gesetz der Natur folgend müssen Menschen zwar auf Kosten anderer Lebewesen leben, doch sie können aufgrund ihrer Denkfähigkeit den Schaden anderer Lebewesen begrenzen.
Und sie haben im Überlebenskampf, dem alle Lebewesen unterliegen, die „besten Karten in der Hand“.
Ist in einer Grenzsituation eine Entscheidung zu treffen, durch die bestimmte Lebewesen entweder bevorzugt oder benachteiligt werden, dann sollte sich durch diese Entscheidung ein möglichst geringes Übel für die benachteiligten Lebewesen ergeben.
Bei der ethischen Bewertung der Folgen, die sich aus dieser Entscheidung ergeben, können Menschen nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass sich überhaupt ein Übel für andere Lebewesen ergibt.
Ein solches Übel ist nun mal unvermeidbar, weil menschliches Leben auf der Erde nicht möglich ist, ohne die Existenz von Pflanzen und Tieren zu beeinträchtigen.
Mit einem biozentrischen Ansatz kann also eine Bewusstseinsschärfung bei Menschen erreicht werden.
Es ist ein Unterschied, ob Handlungen bewusst oder unbewusst vollzogen werden. Entscheidend bleibt, dass die Schädigung anderer Lebewesen nicht als selbstverständlich empfunden wird.
Albert Schweitzer beschreibt in seinem Werk „Kultur und Ethik“ einen ethisch handelnden Menschen im Sinne des Biozentrismus:
„Wahrhaft ethisch ist der Mensch nur, wenn er der Nötigung gehorcht, allem Leben, dem er beistehen kann, zu helfen, und sich scheut, irgendetwas Lebendigem Schaden zuzufügen. Er fragt nicht, inwiefern dieses oder jenes Leben als wertvoll Anteilnahme verdient, und auch nicht, ob und inwieweit es noch empfindungsfähig ist. Das Leben als solches ist ihm heilig. Er reißt kein Blatt vom Baume ab, bricht keine Blume und hat acht, dass er kein Insekt zertritt.“ [13]
Bislang wird in der Wissenschaft und ihrer relativ neuen Disziplin der Pflanzenneurobiologie kontrovers darüber diskutiert, ob Pflanzen eine Art eigenes Bewusstsein und damit Interessen haben.
Befürworter dieser These weisen beispielsweise darauf hin, dass Bäume in einem Wald über ihr Wurzelsystem miteinander kommunizieren können:
Es ist mittlerweile wissenschaftlich belegt, dass verschiedenartige Pflanzen eines Waldes größtenteils durch eine unterirdische Vernetzung, auch Wood Wide Web genannt, miteinander verbunden sind.[14]
So versorgen sich Bäume im Wald gegenseitig mit Kohlenstoff über ein unterirdisches Wurzelgeflecht.
Ermöglicht wird die Weitergabe von Kohlenstoff durch eine sog. Mykorrhiza. Dabei handelt es sich um eine Lebensgemeinschaft von Pilzen, die mit Feinwurzeln von Bäumen in einer Symbiose leben.[15]
Die gegenseitige Versorgung mit Kohlenstoff ist notwendig, wenn Bäume Kohlenstoff nicht selbst produzieren können, wie es bei Sämlingen der Fall sein kann, denen benachbarte, ausgewachsene Bäume das Licht für die Photosynthese nehmen.
Ein weiteres Argument, das für eine Art von Pflanzenbewusstsein sprechen könnte, lautet wie folgt:
Bestimmte Pflanzen können Duftstoffe produzieren, um auf bestimmte Situationen zu reagieren und mit ihrer Umgebung zu kommunizieren – zum Beispiel, um bestimmte Insekten für die Bestäubung anzulocken oder um sich zu verteidigen.[16]
Abwehr-Duftstoffe als ein Ausdruck von pflanzlichem Bewusstsein können verschiedene Ziele erfüllen:
Vertreibung von Fraßfeinden wie Insekten, die eine Pflanze befallen,
Anlockung von natürlichen Fraßfeinden der Insekten, die eine Pflanze befallen oder
Anregung benachbarter Pflanzen, auf einen bevorstehenden Insekten-Befall zu reagieren.[17]
So ist der für Menschen angenehme Geruch nach dem Rasenmähen in Wahrheit
nicht nur auf Substanzen zurückzuführen, die Gräser und Blumen zur
Heilung ihrer Verletzungen produzieren, sondern auch ein Hilferuf und
Warnsignal an ihre Umgebung.
Für eine Art von pflanzlichem Bewusstsein spricht ferner, dass einige Pflanzen nicht nur Duftstoffe, sondern auch Giftstoffe produzieren können, um ihre natürlichen Fraßfeinde abzuwehren.
Dieser Schutz funktioniert zum Beispiel bei der Knoblauch-Pflanze (Allium sativum) folgendermaßen:
Die unterirdischen Knoblauchknollen enthalten die Aminosäure Alliin, die sich bei Beschädigung der Pflanzenhülle durch Zerschneiden oder das Anfressen in den für viele Tiere wie Wühlmäuse giftigen Wirkstoff Allicin umwandelt.
Der Ökologe Ian Baldwin hat seine Schlussfolgerung, die er aus diesen
Fähigkeiten von Pflanzen gezogen hat, wie folgt zum Ausdruck gebracht:
„Die Frage ist weniger, ob Pflanzen intelligent sind, als vielmehr, ob wir intelligent genug sind, sie zu verstehen.“ [18]
Oder anders ausgedrückt könnte im Rahmen einer Biozentrik in der Philosophie die Frage gestellt werden, ob die Menschen den Pflanzen nicht richtig zuhören oder noch nicht zuhören können.
Solange es in Anbetracht zahlreicher wissenschaftlich festgestellter Phänomene der
Kommunikation von Pflanzen miteinander (z. B. gegenseitiges Warnen vor Fraßfeinden),
Kooperation von Pflanzen mit anderen Organismen (z. B. Zusammenleben in Symbiose mit Pilzen),
Kooperation von Pflanzen untereinander (z. B. gegenseitige Unterstützung mit Nährstoffen) und
Reaktion von Pflanzen auf äußere Einflüsse (z. B. Abwehrmechanismen gegen Fraßfeinde)
nicht auszuschließen ist, dass Pflanzen ein
Bewusstsein haben, sollte bei einer biozentrischen Umweltethik
zumindest die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass es so sein
könnte.
In den meisten westlichen Industrieländern hätte die konsequente Anwendung einer biozentrischen Umweltethik eine weitreichende Bedeutung für viele Bereiche des täglichen Lebens.
Denn im Biozentrismus erhalten auch Lebewesen eigenständige Rechte, die von Menschen gemeinhin für nicht empfindungsfähig gehalten werden.
Darunter fallen zum Beispiel Fische, Insekten, Weichtiere (Muscheln, Schnecken), essbare Meerestiere, die keine Wirbeltiere sind (Flusskrebse, Garnelen, Hummer, Langusten), Pflanzen, Pilze oder Lebewesen ohne Zellkern wie Archaeen und Bakterien.
Welche Bedeutung es hätte, wenn man die Interessen aller Lebewesen im Alltag berücksichtigen würde, zeigen die folgenden Beispiele:
Beim Ansatz einer biozentrischen Umweltethik wäre der industrielle Fischfang auf den Weltmeeren kritisch zu hinterfragen, weil auch die Interessen von Fischen zu berücksichtigen wären.
Der industrielle Fischfang wäre dem nachhaltigen Fischfang gegenüberzustellen, bei dem sanfte Fangmethoden Anwendung finden, die Fischbestände, die Artenvielfalt und den Lebensraum von Meerestieren nicht schädigen.
Das betrifft speziell die Problematik der Supertrawler in der industriellen Hochseefischerei. Dabei handelt es sich um über 100 Meter lange Fischerei-Schiffe, die bereits eigene Sortier-, Filetier- und Verarbeitungsanlagen sowie vollautomatische Gefriersysteme an Bord haben.
Supertrawler als „schwimmende Fischfabriken“ verursachen mit riesigen Fangnetzen unzählige Beifangopfer beim Fischen beliebter Fischarten wie Dorsch, Garnele, Heilbutt, Hering, Kabeljau, Sardine, Seelachs oder Thunfisch.
Zu den Beifangopfern, die sich in den Netzen und Fanggeräten der Supertrawler als ungewollte Nebenprodukte verfangen können, zählen Delfine, Haie, Korallen, Krebstiere, Meeresschildkröten, Robben, Rochen, Seevögel oder Wale.
Jedes Jahr verenden auf diese Weise ca. 300.000 Wale, Delfine und Tümmler als Beifangopfer in Fischernetzen.[19] In Gewicht ausgedrückt werden weltweit jährlich etwa 38,5 Millionen Tonnen Beifang billigend in Kauf genommen.[20]
Diese Beifangopfer werden zufällig gefangen und unabhängig davon, ob sie tot oder verletzt sind, über Bord ins Meer zurückgeworfen – eine Fischereipraxis, die sich nicht mit einer biozentrischen Umweltethik vereinbaren lässt.
Beim Umgang mit Delfinen als Beifangopfer ist die Frage zu stellen, ob nicht bereits beim Ansatz einer pathozentrischen Umweltethik ihre Interessen schutzwürdig sind:
Neben zahlreichen Eigenschaften, in denen sie mit Menschen übereinstimmen, bestehen Delfine als eine der wenigen Tierarten den Spiegel-Test, was auf ein Ich-Bewusstsein hindeutet (vgl. Diskussion in der pathozentrischen Umweltethik).
Fernab der Weltmeere müsste bei einem biozentrisch orientierten
Fischfang auf tierische Fischköder wie Regenwürmer, Maikäfer oder
zerhackte Eingeweide von Geflügel verzichtet und zum Beispiel als
„geringeres Übel“ auf bewährte Köder wie Brot, Kirschen oder Polenta
zurückgegriffen werden.
Nicht zu vergessen, dass der industrielle Fischfang auf den Weltmeeren, der zu einer Überfischung und damit zu einer Auslöschung der Fischbestände führt, auch nicht mit einer anthropozentrischen Ethik im Sinne einer Generationengerechtigkeit vereinbar sein dürfte.
Hinzukommt, dass bei allen aufgeworfenen Problemen des industriellen Fischfanges eine Grundfrage noch nicht beantwortet worden wäre:
Ist das Essen von Fisch überhaupt mit einem Biozentrismus vereinbar, wenn eigenständige Rechte von Fischen als Lebewesen Berücksichtigung finden? Und falls ja, in welchem Umfang?
Beim Ansatz einer biozentrischen Umweltethik wären gestalterische Eingriffe von Menschen in die natürliche Pflanzenwelt (Flora) im Rahmen der Gartenkunst und der Landschaftspflege zu hinterfragen.
Egal, ob es sich dabei um Parkanlagen, Grünflächen, Haus-Gärten, Freizeitanlagen, Golfplätze, Sportplätze oder Begleitgrün von Straßen, Schienen und Wegen handelt.
Denn solche Eingriffe betreffen auch Rückzugsorte und
Lebensräume zahlreicher Tierarten und Pflanzenarten. Nachfolgend einige
Beispiele und Situationen in der Natur, die biozentrisch betroffen wären:
Das Entfernen und Schneiden von Pflanzen in Gärten und Parks oder auf Grünflächen aus ästhetischen, kommerziellen oder gestalterischen Gründen
Die Bekämpfung von sog. Unkraut, also Pflanzen, die an ihrem jeweiligen Standort willkürlich von Menschen als „unerwünscht“, „störend“ oder „ohne Nutzen“ eingestuft werden
Der Einsatz chemisch hergestellter Dünger und Unkrautvernichtungsmittel, die Kleinstlebewesen (Mikroorganismen) in ihrer Existenz bedrohen
Das Anpflanzen exotischer Pflanzenarten, die einheimischen Tieren wie Insekten (Bienen, Schmetterlinge, Schwebefliegen) und Vögeln keine oder nur wenig Nahrung bieten, oder die wie Mahonie, Essigbaum und Lupine einheimische Pflanzen verdrängen
Das Entfernen herabgefallener Laubblätter von Bäumen und Sträuchern im Herbst, unter deren Laub zum Beispiel Igel oder Kleinstlebewesen wie Insekten überwintern
Das Entfernen von Herbstlaub mit Laubbläsern und Laubsaugern, wodurch Kleinstlebewesen wie Asseln, Frösche, Käfer, Schmetterlingslarven, Spinnen oder Tausendfüßler vernichtet werden
Biozentrisch denkende Gärtner und Gartenbesitzer dürften auch kein Schneckenkorn zum
Schutz ihrer Blumen- und Gemüse-Beete im Garten verwenden, sondern
müssten die Schnecken in ihrem Garten einsammeln und zum Beispiel in einem nahegelegenen Wald-Stück
aussetzen.
Beim Ansatz einer biozentrischen Umweltethik wäre die Züchtung von Blumen für den Blumenhandel und für Blumenläden einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Einerseits wäre das Lebensrecht von Blumen und die Freude von Menschen an Schnittblumen in den eigenen vier Wänden gegeneinander abzuwägen.
Andererseits wäre der Anbau von Blumen in Ländern der Zweiten und Dritten Welt zu hinterfragen.
Dieser findet oft unter Einsatz von Kunstdünger statt, oder von Pestiziden (Pflanzenschutzmittel), die giftig sind für Insekten (Insektizide), Pflanzen (Herbizide) oder Pilze (Fungizide).
Auf diese Weise werden nicht nur die Böden, Mikroorganismen, andere Pflanzen und das Grundwasser erheblich ökologisch belastet, sondern auch die im Umfeld lebenden Tiere und Menschen.
Nicht zu vergessen die fragwürdigen Arbeitsbedingungen für viele Beschäftigte von Blumenplantagen:
Das betrifft zum Beispiel Themen wie Arbeitslöhne, Arbeitszeiten, Kinderarbeit oder gesundheitliche Gefahren durch Pestizide bis hin zu Vergiftungen, denen Beschäftigte ausgesetzt sind.
Die Schädigung von Menschen und Tieren durch einen umweltunfreundlichen Blumenanbau wäre jedoch bereits von einer anthropozentrischen und/oder pathozentrischen Umweltethik zu adressieren.
Auf jeden Fall dürfte ein kommerzieller Anbau von Blumen für Blumenläden und den Blumenhandel bei konsequenter Anwendung einer biozentrischen Ethik schwer zu begründen sein.
Und selbst ein ökologisch unbedenklicher Anbau von „Bioblumen“ könnte nichts an dem Grundproblem ändern, das schon Albert Schweitzer zum Ausdruck gebracht hat: das Recht von Blumen zu leben.
Ein Abschneiden oder Abbrechen von Blumen lässt sich nicht mit dem Biozentrismus vereinbaren oder anders ausgedrückt: in einer biozentrischen Welt wären Blumenvasen ohne Funktion.
Beim Ansatz einer biozentrischen Umweltethik wären die Bekämpfung und die Rettung von Insekten oder Regenwürmern zu thematisieren, weil diese als Lebewesen schützenswerte Interessen haben.
So müsste bei der Insektenbekämpfung, die für das Überleben von Menschen aus hygienischen oder gesundheitlichen Gründen relevant ist, auf „sanfte“ Abwehrmethoden zurückgegriffen werden.
Zur Abwehr von Fliegen und Stechmücken können zum Beispiel anstelle von Fliegenfängern oder elektrischen Insektenvernichtern (Insektenvernichter-Lampe, elektrische Fliegenklatsche) ätherische Duftlampen oder Repellents (Vergrämungsmittel) Verwendung finden.
Als Repellent gegen Mückenstiche kommt zum Beispiel Citriodiol, auch PMD (p-Menthan-3,8-Diol) genannt, in Frage – ein pflanzlicher Wirkstoff aus dem Zitroneneukalyptus (Corymbia citriodora).
Ebenso die synthetisch hergestellten Wirkstoffe DEET (Diethyltoluamid) oder Icaridin (Picaridin) als Emulsionen oder Sprays.
Weiter müssten Fliegen, Käfer, Schmetterlinge oder Spinnen, die sich in geschlossene Räume verirren, zum Beispiel mit einem Glas eingefangen und in der Natur wieder ausgesetzt werden.
Der Biozentrismus von Albert Schweitzer setzt nicht erst bei einer möglichst sanften Abwehr an. Vielmehr sollte von vornherein versucht werden, einen möglichen Schaden von Insekten zu verhindern.
„Wenn wahrhaft ethische Menschen im Sommer bei der Lampe arbeiten, halten sie lieber das Fenster geschlossen und atmen die dumpfe Luft, als dass Insekten mit versenkten Flügeln auf ihre Tische fallen“, so Albert Schweitzer.[21]
Biozentrisches Handeln beinhaltet also den Verzicht auf offene Lichtquellen bei Dunkelheit, um so wenig wie möglich Insekten anzulocken, oder zumindest das Anbringen von Fliegengittern an den Fenstern.
Unvereinbar mit einem Biozentrismus wäre auch die Verwendung von Insektenvernichter-Lampen zur Abwehr von Stechmücken, weil deren Licht nicht nur Stechmücken, sondern auch größere Insekten wie Nachtfalter anzieht, die keine gesundheitliche Beeinträchtigung für Menschen bedeuten.
In seinem Hauptwerk „Kulturphilosophie“ nennt Albert Schweitzer im
zweiten Band „Kultur und Ethik“ zwei Beispiele, wie sich biozentrisch
handelnde Menschen gegenüber Insekten und Regenwürmern verhalten, ohne
sich davor zu fürchten, als sentimental belächelt zu werden:
Geht der ethische Mensch „nach dem Regen auf der Straße und erblickt den Regenwurm, der sich darauf verirrt hat, so bedenkt er, dass er in der Sonne vertrocknen muss, wenn er nicht rechtzeitig auf Erde kommt, in der er sich verkriechen kann, und befördert ihn von dem todbringenden Steinigen hinunter ins Gras. Kommt er an einem Insekt vorbei, das in einen Tümpel gefallen ist [und nicht schwimmen kann, wie Marienkäfer, Rückenschwimmer, Schwimmkäfer oder Wasserläufer], so nimmt er sich die Zeit, ihm ein Blatt oder einen Halm zur Rettung hinzuhalten.“ [21]
Die biozentrische Umweltethik könnte als ein nie erreichbares Oberziel verstanden werden, das die Menschen trotzdem immer anstreben sollten im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung.
Dieses Streben nach einem nie erreichbaren Oberziel beinhaltet die asiatische Philosophie von Kaizen.
Bei Kaizen handelt es sich um ein japanisches Management-Konzept von Taiichi Ohno, das japanische Automobilhersteller wie Toyota erfolgreich in der schlanken Produktion (Lean Production) anwenden.
Japanische Schriftzeichen
von Kaizen (カイゼン)
Nach üblicher Definition bedeutet Kaizen in der japanischen Sprache „Veränderung zum Besseren“ – abgeleitet von Kai (= Wandel, Veränderung) und Zen (= zum Besseren).[22]
Masaaki Imai, ein japanischer Unternehmensberater und der Vater von „Continuous Improvement (CI)“ definiert Kaizen als eine Strategie, „kontinuierlich bessere Produkte zu niedrigeren Preisen anzubieten“.[23]
Dahinter steht die Auffassung, dass alle Lebensbereiche des Menschen – egal, ob es sich um das Arbeitsleben oder das soziale und häusliche Leben handelt – einer ständigen Verbesserung bedürfen.[24]
Die Botschaft von Kaizen lautet daher, dass kein Tag ohne irgendeine Verbesserung vergehen soll.[24]
Die Besonderheit an dieser Philosophie ist dabei, dass absolute Qualität, obwohl sie nie wirklich erreichbar ist, trotzdem immer wieder aufs Neue angestrebt wird.
Dabei ist von jedem Mitarbeiter eines Unternehmens der Wille zur ständigen Verbesserung gefragt – unabhängig davon, auf welcher Hierarchiestufe sich dieser Mitarbeiter befindet.
Überträgt man die Denkweise der ständigen Verbesserung auf das biozentrische Weltbild, dann sollten die Menschen ständig nach Erhalt allen Lebens streben, auch wenn dieses Ziel auf der Erde nicht erreichbar ist. Der Weg wäre demnach das Ziel.
In der westlichen, industriellen Management-Praxis wurde als Pendant zu Kaizen der Begriff „Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)“ geprägt.
Der Unterschied zwischen Kaizen und KVP liegt darin, dass die Philosophie des Kaizen für alle Lebensbereiche gilt, während die Philosophie des KVP nur in der Industrie zur Umsetzung einer schlanken Produktion (englisch: lean production) Anwendung findet.
» Hinweise zum Zitieren dieser Internetseite in wissenschaftlichen Arbeiten
Ihnen gefällt diese Internetseite? Dann können Sie dieses Projekt gerne » mit PayPal unterstützen.
Literaturangaben:
[1] Teutsch, Gotthart Martin (1985), Lexikon der Umweltethik, Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Düsseldorf, S.17.
[2] Ebenda, S.79 u. S.104.
[3] Ehrlichkeit und Moral – Über 800 Zitate ausgewählter Persönlichkeiten (2018), Springer Fachmedien, Wiesbaden, S.23.
[4] Schweitzer, Albert (2007): Kulturphilosophie, Beck'sche Reihe 1150, Verlag C.H. Beck, München, S.308.
[5] Huth, Siegfried A. (2000): DUDEN – Reden gut und richtig halten!, 2. Auflage, Dudenverlag, Mannheim, S.446
[6] Schweitzer, Albert: Die Ehrfurcht vor dem Leben – Grundtexte aus fünf Jahrzehnten, Hrsg. v. Bähr, H.W. (1991), 6. Auflage, München, S.158.
[7] Schweitzer, Albert (2007): Kulturphilosophie, Beck'sche Reihe 1150, Verlag C.H. Beck, München, S.315.
[8] Mitarbeitermotivation – treffend verpackt – Über 800 Zitate ausgewählter Persönlichkeiten (2020), 4. Auflage, Verlag: Springer Fachmedien, Wiesbaden, S.23.
[9] Schweitzer, Albert (2007): Kulturphilosophie, Beck'sche Reihe 1150, Verlag C.H. Beck, München, S.309.
[10] Schweitzer, Albert (1963): Die Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben, erschienen in: Albert Schweitzer – Beiträge für Pädagogik, Schule und Unterricht, Ausgabe Mai 2007, Deutsches Albert-Schweitzer-Zentrum, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, Frankfurt am Main, S.50.
[11] Schweitzer, Albert: Die Ehrfurcht vor dem Leben: Grundtexte aus fünf Jahrzehnten, Hrsg. v. Bähr, Hans Walter (1991), 6.Aufl., C.H. Beck Verlag, München, S.33.
[12] Teutsch, G.M. (1985), Lexikon der Umweltethik, Düsseldorf, S.17.
[13] Schweitzer, Albert (2007): Kulturphilosophie, Beck'sche Reihe 1150, C.H. Beck Verlag, München, S.309.
[14] Wiemken, Verena/Boller, Thomas (2002): Ectomycorrhiza – gene expression, metabolism and the wood-wide web, in: Current Opinion in Plant Biology, Vol. 5, Issue 4, S. 355–361.
[15] Simard, S.W., Perry, D.A., Jones, M.D., Myrolds, D.D., Durall, D.M., Molina R. (1997): Net transfer of carbon between ectomycorrhizal tree spezies in the field, in: Nature, Vol. 388, Nr. 7, S.579–582.
[16] Séquin, Margareta (2017): The Chemistry of Plants and Insects: Plants, Bugs and Molecules, Wales, The Royal Society of Chemistry, S.59
[17] Ebenda, S.60
[18] Storl, Wolf-Dieter (2019): Wir sind Geschöpfe des Waldes: Warum wir untrennbar mit den Bäumen verbunden sind, Gräfe und Unzer Verlag, München, S.48.
[19] Kamphausen, Klaus/Lesch, Harald (2017): Die Menschheit schafft sich ab, Komplett-Media Verlag, München, S.257.
[20] Davies, Robin, et al. Defining and estimating global marine fisheries bycatch. Marine Policy (2009), doi:10.1016/j.marpol.2009.01.003, S.21.
[21] Schweitzer, Albert (2007): Kulturphilosophie, Beck'sche Reihe 1150, C.H. Beck Verlag, München, S.309.
[22] Akbaba, Yesim (2007): Erfolg und Effizienz mit Poka Yoke, Diplomica Verlag, Hamburg, S. 16
[23] Masaaki, Imai (1992): Kaizen – Der Schlüssel zum Erfolg der Japaner im Wettbewerb, München, S.19/23.
[24] Ebenda, S.23/24.
↑ Nach oben ↑